Stärkung der Tarifautonomie: Der Gesetzesentwurf zum Bundestariftreuegesetz

Mit dem geplanten Bundestariftreuegesetz (BTTG-E) will die Bundesregierung ein starkes Signal für faire Arbeitsbedingungen und Tarifbindung setzen. Künftig sollen nur noch Unternehmen öffentliche Bundesaufträge erhalten, die tarifliche Löhne und Arbeitsstandards einhalten – auch ohne eigene Tarifbindung.

Was nach sozialer Gerechtigkeit klingt, bedeutet in der Praxis erhebliche Veränderungen für Unternehmen und Auftraggeber: neue Prüfpflichten, Haftungsrisiken, Dokumentationsanforderungen – und damit steigenden Compliance-Aufwand.

Unser Beitrag zeigt, wie das Gesetz funktioniert, wen es betrifft und was jetzt vorbereitet werden sollte, um ab 2026 rechtssicher und wettbewerbsfähig zu bleiben.

In Deutschland spielt die Tarifautonomie – das grundgesetzlich in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Recht der Sozialpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeber) ohne staatliche Einflussnahme Arbeitsbedingungen wie Löhne, Arbeitszeiten und weitere Standards in Tarifverträgen auszuhandeln – traditionell eine zentrale Rolle. Da öffentliche Aufträge bereits aufgrund des Volumens staatlicher Nachfrage im Wettbewerb um Arbeitsbedingungen eine besonders steuernde Wirkung haben können, existieren auf Landesebene bereits in nahezu allen Bundesländern – mit Ausnahme von Bayern und Sachsen – Tariftreuegesetze, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmte Arbeitsbedingungen vorschreiben.

In den letzten Jahren ist die Tarifbindung, also der Anteil von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis tarifvertraglich geregelt ist, jedoch deutlich zurückgegangen.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung einen – gegenüber einem dem Grundsatz der Diskontinuität von Gesetzgebungsverfahren nach einer Neuwahl des Bundestags zum Opfer gefallenen Entwurf der Vorgängerregierung weitestgehend unverändert gebliebenen – Gesetzesentwurf zur Stärkung der Tarifautonomie durch Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes (Bundestariftreuegesetz – BTTG-E) vorgelegt. Ziel ist es, Tariftreue und Tarifautonomie zu stärken, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen und Lohndumping zu vermeiden, indem die Einhaltung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen zur Voraussetzung für die Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes gemacht wird.

Die Beschaffungspraxis des Bundes und der ihm zuzurechnenden Auftraggeber bietet hierfür einen signifikanten Hebel.

Einheitliche Regeln für Bundesaufträge

Der BTTG-E enthält zentrale Regelungen, die im Falle der Verabschiedung des Gesetzes sowohl die Vergabepraxis des Bundes als auch die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen öffentlicher Aufträge prägen werden.

Die Neuregelung betrifft insbesondere den Anwendungsbereich, die Pflichten der Auftragnehmer, die Rolle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bei der Festlegung tariflicher Arbeitsbedingungen sowie die Überwachungs- und Sanktionsmechanismen.

Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs zusammengefasst:

  • Anwendungsbereich und Ausnahmen (§ 1 BTTG-E)

Das BTTG-E gilt für öffentliche Aufträge und Konzessionen, die durch den Bund oder dem Bund zurechenbare öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber vergeben werden. Bei der Regelung des personellen Anwendungsbereichs orientiert sich der Entwurf an § 159 Abs. 1 GWB (Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes), der die Zurechenbarkeit öffentlicher Aufträge und Konzessionen zur Sphäre des Bundes beschreibt.

Damit verweist der Gesetzesentwurf nicht auf den gesellschaftsrechtlichen Begriff des „beherrschenden Einflusses“, sondern definiert eine eigene, funktionsbezogene Zurechnung zur Bundesebene.

Das Gesetz findet Anwendung auf Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge sowie Konzessionen, sobald der geschätzte Auftragswert 50.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) überschreitet. Es gilt – mit Ausnahme von § 14 BTTG-E – nur für Leistungen, die in Deutschland erbracht werden.

Unterhalb der EU-Schwellenwerte greift das BTTG-E nur, wenn ein Anwendungsbefehl zur Durchführung eines Vergabeverfahrens vorgesehen ist. Der personelle Anwendungsbereich erstreckt sich im Unterschwellenbereich damit beispielsweise nicht auf bundeseigene Gesellschaften. Ausdrücklich erfasst sind auch Rahmenvereinbarungen, während bei gemeinsamen Vergaben mit Ländern oder mit ausländischen Stellen Abweichungen zulässig sind, sofern eine Einigung über die Anwendung des BTTG-E nicht erreicht wird.

Ausnahmen gelten insbesondere für den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich sowie bestimmte Beschaffungen der Bundeswehr und Sicherheitsbehörden. Diese Bereiche sind bis zum 31. Dezember 2032 vom Gesetz ausgenommen, um Anpassungen an bestehende sicherheitsspezifische Vergabestrukturen zu ermöglichen.

  • Tariftreueversprechen und Anspruch auf tarifvertragliche Arbeitsbedingungen (§§ 3, 4 BTTG-E)

Kern des Gesetzes ist das Tariftreueversprechen, das der Auftragnehmer gegenüber dem Bundesauftraggeber abgeben muss. Danach verpflichtet sich der Auftragnehmer, allen im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzten Arbeitnehmern mindestens die Arbeitsbedingungen zu gewähren, die in der einschlägigen Rechtsverordnung des BMAS gemäß § 5 BTTG-E festgelegt sind. Diese Verpflichtung erfasst auch Nachunternehmer und Verleiher, sodass Umgehungskonstruktionen über Subunternehmen oder Leiharbeit ausgeschlossen werden. Die Verpflichtung wirkt über die gesamte Auftragskette fort und gilt unabhängig davon, ob der Auftragnehmer selbst tarifgebunden ist.

Beschäftigte erhalten damit einen unmittelbaren, individualrechtlich durchsetzbaren Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf Einhaltung der tariflichen Arbeitsbedingungen (§ 4 Abs. 1 BTTG-E). Ein Verzicht auf diesen Anspruch ist grundsätzlich ausgeschlossen und nur im Rahmen eines von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleichs zulässig; eine Verwirkung ist ausdrücklich ausgeschlossen.

Darüber hinaus besteht eine Informationspflicht des Arbeitgebers: Spätestens bis zum 15. Tag des Folgemonats nach Aufnahme der Tätigkeit müssen die Beschäftigten über die für sie maßgeblichen Arbeitsbedingungen schriftlich informiert werden. Diese Pflicht gilt auch gegenüber Leiharbeitnehmern.

  • Festlegung verbindlicher Arbeitsbedingungen durch Rechtsverordnungen (§ 5 BTTG-E)

Das BMAS erhält die Befugnis, auf Antrag einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbands durch Rechtsverordnung bestimmte tarifvertragliche Arbeitsbedingungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge verbindlich festzusetzen.

Zu den festsetzbaren Bedingungen gehören insbesondere:

o die Entlohnung im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG),
o der bezahlte Mindestjahresurlaub,
o sowie die Höchstarbeits- und Ruhezeiten.

Die jeweilige Verordnung bezieht sich grundsätzlich auf eine Branche und gilt für alle öffentlichen Aufträge, die innerhalb ihres sachlichen und räumlichen Geltungsbereichs liegen. Maßstab ist dabei der repräsentativste Tarifvertrag der jeweiligen Branche.

Bei konkurrierenden Tarifverträgen ist vorgesehen, dass eine Clearingstelle beim BMAS eingerichtet wird, die über die Repräsentativität entscheidet und Überschneidungen vermeidet. Vor Erlass der Verordnung erfolgt eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger mit der Möglichkeit zur Stellungnahme. Mit dem Stellungnahmerecht wird die Möglichkeit eröffnet, die Clearingstelle einzuberufen. Diese gibt eine Empfehlung darüber ab, ob und mit welchem Inhalt eine Rechtsverordnung erlassen werden soll.

Die Verordnungen gelten fort, bis sie aufgehoben oder ersetzt werden. Das BMAS veröffentlicht die jeweils geltenden Arbeitsbedingungen zentral und barrierefrei im Internet.

  • Kontrollmechanismen, Nachweise und Zertifizierung (§§ 8–10 BTTG-E)

Zur Sicherstellung der Einhaltung der Tariftreuepflichten wird eine „Prüfstelle Bundestariftreue“ bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See eingerichtet. Sie führt anlassbezogene Kontrollen durch, wenn hinreichende Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen. Hinweise können von Auftraggebern, Beschäftigten oder Dritten kommen.

Die Prüfstelle kann Nachweise anfordern wie Lohnabrechnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen oder Verträge, welche dann durch die Auftragnehmer vorzulegen sind. Zur Entlastung der Unternehmen kann die Einhaltung der Tariftreueverpflichtung auch über eine Zertifizierung nachgewiesen werden, etwa im Rahmen einer Präqualifizierung. Ein Zertifikat ersetzt jedoch nicht die Kontrolle bei einem konkreten Verdachtsfall.

  • Sanktionen und Rechtsfolgen (§§ 11–14 BTTG-E): Verstöße gegen die Tariftreuepflichten können zivilrechtlich, vergaberechtlich und haftungsrechtlich sanktioniert werden.

o Zivilrechtliche Sanktionen: Bundesauftraggeber sind verpflichtet, in den Verträgen Vertragsstrafen vorzusehen, welche bis zu 1 % des Auftragswertes je Verstoß, höchstens jedoch 10 % bei mehreren Verstößen betragen. Bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen kann der Auftraggeber den Vertrag zudem außerordentlich kündigen.
o Feststellung von Verstößen: Eine Vertragsstrafe darf erst verhängt werden, nachdem die Prüfstelle durch Verwaltungsakt einen erheblichen Verstoß festgestellt hat. Dieses Verfahren ist als Vorverfahren ausgestaltet, um Rechtssicherheit zu schaffen.
o Nachunternehmerhaftung: Auftragnehmer haften wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Zahlung der Nettoentgelte der von ihren Nachunternehmern oder Verleihern eingesetzten Arbeitnehmer. Eine Haftungsfreistellung ist möglich, wenn der Auftragnehmer eine Zertifizierung nach § 10 BTTG-E vorlegt und keine Anhaltspunkte für Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Nachunternehmers bestehen.
o Ausschluss von Vergabeverfahren: Schwere oder wiederholte Verstöße können als fakultativer Ausschlussgrund von künftigen Vergabeverfahren gewertet werden. Zudem ist eine Eintragung in das Wettbewerbsregister vorgesehen, sodass Verstöße für öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber oder Konzessionsgeber bundesweit nachvollziehbar bleiben.

  • Klagemöglichkeit (§ 15 BTTG-E)

Beschäftigte können ihre Ansprüche auf Einhaltung der tariflichen Arbeitsbedingungen vor den deutschen Arbeitsgerichten geltend machen. Das gilt ausdrücklich auch für Beschäftigte mit ausländischen Arbeitgebern, sofern die Tätigkeit im territorialen Anwendungsbereich des BTTG-E erbracht wurde. Damit schafft das Gesetz eine einheitliche gerichtliche Zuständigkeit und stärkt den individuellen Rechtsschutz im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe.

  • Übergangsregelung und Inkrafttreten (§ 16 BTTG-E)

Das Bundestariftreuegesetz soll nur auf Vergabeverfahren Anwendung finden, die nach seinem Inkrafttreten eingeleitet werden. Bereits begonnene oder abgeschlossene Verfahren bleiben unberührt. Das Inkrafttreten ist für den Tag nach der Verkündung, frühestens jedoch zum 1. Januar 2026, vorgesehen.

Begleitende Änderungen des Wettbewerbsregistergesetzes, die für die Vollzugskontrolle erforderlich sind, treten erst in Kraft, wenn die technischen Voraussetzungen geschaffen wurden; der genaue Zeitpunkt wird im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben.

Der Entwurf des Bundestariftreuegesetzes (BTTG-E) verknüpft das Vergaberecht mit dem (individuellen und kollektiven) Arbeitsrecht und erweitert dessen Schutzbereich. Es verpflichtet einerseits Unternehmen, die nicht ohnehin bereits tarifgebunden sind, zur Einhaltung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen.

Darüber hinaus entfaltet das BTTG-E seine Wirkung nun auch unmittelbar im Arbeitsverhältnis, während die Tariftreuepflicht auf Landesebene bislang über eine Selbstverpflichtung des Auftragnehmers wirkt.


Der in § 4 BTTG-E vorgesehene Anspruch der Beschäftigten begründet eine eigenständige zivilrechtliche Anspruchsgrundlage. Die durch Rechtsverordnungen des BMAS festgelegten Arbeitsbedingungen werden kraft Gesetzes Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und können von den Arbeitnehmern unmittelbar eingefordert werden. Es handelt sich somit nicht lediglich um eine Sanktions- oder Haftungsregelung, sondern um einen individualrechtlichen Anspruch, der dem Schutzbereich tarifvertraglicher Regelungen angenähert ist. Damit entwickelt der Gesetzgeber ein eigenständiges bundesrechtliches Regelungskonzept der Tariftreue mit individualrechtlicher Durchgriffswirkung.

Systematisch steht das BTTG-E neben den bestehenden arbeitsrechtlichen Schutzgesetzen wie dem MiLoG und dem AEntG, die bereits Mindestarbeitsbedingungen vorsehen, ohne auf eine Tarifbindung abzustellen. Während das MiLoG flächendeckend einen gesetzlichen Mindestlohn garantiert und das AEntG bestimmte Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen erfasst, verpflichtet das BTTG-E Arbeitgeber in der besonderen Situation der Bundesauftragsvergabe zur Einhaltung tariflicher Standards – auch ohne Tarifbindung oder Allgemeinverbindlicherklärung. Dadurch entsteht eine zusätzliche Schutzebene, die über die bisherigen Mindeststandards hinausgeht und der Tarifautonomie auf Bundesebene neue Wirkung verleiht.

Die in den Bundesländern bestehenden Tariftreuegesetze bleiben unverändert bestehen und gelten weiterhin für Aufträge der Länder und Kommunen. Das BTTG-E ergänzt damit die föderale Landschaft um ein eigenständiges Bundesregime. Eine umfassende Rechtsvereinheitlichung wird dadurch nicht geschaffen; vielmehr treten künftig bundesrechtliche und landesrechtliche Tariftreuepflichten nebeneinander. Für bundesweit tätige Unternehmen bedeutet dies, dass sie sowohl die bundesrechtlichen Vorgaben des BTTG-E als auch die unterschiedlichen landesrechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen haben. Maßgeblich ist hierbei insbesondere die Zuordnung des beschaffenden öffentlichen Auftraggebers.

Die in den Rechtsverordnungen festgelegten Arbeitsbedingungen gelten zwingend und dürfen vertraglich nicht zuungunsten der Beschäftigten abbedungen werden. Arbeitgeber müssen die maßgeblichen tariflichen Standards kennen, umsetzen und deren Einhaltung dokumentieren, um Sanktionen zu vermeiden. Die im Gesetz verankerte Informationspflicht über die einschlägigen Arbeitsbedingungen stärkt die Transparenz und erleichtert den Beschäftigten die Wahrnehmung ihrer Rechte.

Besondere Bedeutung kommt der Ausdehnung der Verantwortung auf Subunternehmer und Leiharbeitnehmer zu. Der Hauptauftragnehmer haftet für die Einhaltung der tariflichen Arbeitsbedingungen in der gesamten Leistungskette. Damit wird eine Verantwortungskaskade geschaffen, die der Nachunternehmerhaftung des AEntG ähnelt, jedoch darüber hinausgeht, da sie nicht auf bestimmte Branchen oder ausländische Entsendungen beschränkt ist. Dies stärkt den Arbeitnehmerschutz, führt aber zugleich zu einer deutlichen Ausweitung der Compliance-Pflichten der Auftragnehmer.

Das BTTG-E markiert eine Verschiebung des arbeitsrechtlichen Schutzsystems hin zu einem stärker staatlich flankierten Modell, in dem Tariftreue nicht nur politisches Leitbild, sondern rechtlich verbindliche Voraussetzung wirtschaftlicher Betätigung im öffentlichen Auftragswesen wird. Es stärkt die Tarifautonomie über den Hebel der öffentlichen Auftragsvergabe und verleiht tariflichen Arbeitsbedingungen neue faktische Wirksamkeit – auch dort, wo klassische Tarifbindung fehlt.

Bereits existierende landesgesetzliche Tariftreueregelungen rekurrieren überwiegend auf ohnehin bestehende Pflichten aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und haben insoweit deklaratorischen Charakter; andere Landesgesetze gehen darüber hinaus und sehen eigenständige vergabespezifische Mindestarbeitsbedingungen vor. In diesem Zusammenhang ist im vergaberechtlichen Normgefüge § 128 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen, der an partizipierende Unternehmen den – ebenfalls lediglich deklaratorischen – Hinweis adressiert, ohnehin zu beachtende rechtsverbindliche Regelungen, von denen einige beispielhaft benannt werden, einzuhalten.

Das BTTG-E geht über diese bestehenden Mechanismen hinaus und sieht in § 3 Abs. 1 BTTG-E für Vergabeverfahren des Bundes und für dem Bund zuzurechnende öffentliche Auftraggeber, die nach dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens eingeleitet werden (§ 16 BTTG-E), mit dem Tariftreueversprechen eine konstitutive – d.h. auch für grundsätzlich nicht tarifgebundene Unternehmen geltende –Ausführungsbedingung i.S.d. §§ 128 Abs. 2, 129 GWB vor.

Die hieraus folgenden Rechtswirkungen können sich sowohl im Rahmen der (dem Vergaberecht unterfallenden) Vertragsanbahnungsphase als auch in der (der Durchführung eines Vergabeverfahrens nachgelagerten) Vertragsdurchführungsphase manifestieren.

Akzeptiert ein Bieter das bei Abgabe eines Angebots zwingend erforderliche Tariftreueversprechen ausdrücklich nicht, führt dies – sei es wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen, sei es wegen eines unvollständigen Angebots – zum (zwingenden) Ausschluss des betreffenden Angebots. Erklärt ein Unternehmen hingegen die Einhaltung des Tariftreueversprechens, will den damit einhergehenden Pflichten im Rahmen der Vertragsdurchführungsphase indes von vornherein nicht nachkommen, kann dies unter Berücksichtigung von § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c GWB noch während des Vergabeverfahrens zum Ausschluss führen.

Sollten bereits während des Vergabeverfahrens berechtigte Zweifel an der Erfüllbarkeit des mit Einreichung des Angebots abgegebenen Leistungsversprechens, zu dem auch das in § 3 Abs. 1 BTTG-E enthaltene Tariftreueversprechen gehört, aufkommen, kann auch dies zum Ausschluss des Angebots führen.

Nach Erteilung des Zuschlags gelten die allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen. Das Pflichtenprogramm einschließlich der im Falle der Missachtung vorgesehenen Sanktionsmechanismen des BTTG-E wird im Falle der Zuschlagserteilung Vertragsbestandteil.

Verstöße gegen das vertraglich geschuldete Pflichtenprogramm bei Ausführung eines öffentlichen Auftrags können sich auch in künftigen Ausschreibungen auswirken. So können Unternehmen, die eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt haben, gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn die mangelhafte Erfüllung zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

Der bestehende Katalog fakultativer Ausschlussgründe nach § 124 GWB wird zudem durch den neuen § 14 BBTG-E flankiert. Auch hierbei handelt es sich um einen fakultativen Ausschlussgrund, bei dem das rechtsfolgenseitig eröffnete Ermessen indes beschränkt ist. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 1 BTTG-E in Form eines von der Prüfstelle Bundestariftreue nach § 13 Abs. 1 BTTG-E unanfechtbar festgestellten Verstoßes vor, erfolgt im Regelfall ein Ausschluss. Nur in atypischen Fallkonstellationen oder aus wichtigem Grund kann von einem Ausschluss abgesehen werden. Gemäß § 13 Abs. 1 BTTG-E festgestellte Verstöße werden zur Eintragung an das Wettbewerbsregister übermittelt und werden durch öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber – aufgrund der ihrerseits bestehenden Abrufpflichten vor der avisierten Zuschlagserteilung – zur Kenntnis genommen und einer vergaberechtlichen Prüfung nach vorstehenden Prämissen unterzogen.

Unberührt bleibt der in § 125 GWB vorgesehene Selbstreinigungsmechanismus, der es einem Unternehmen gestattet, seine Integrität durch Maßnahmen zur Kooperation, Kompensation und Prävention wiederherzustellen.

Insgesamt bleibt der in § 1 BTTG-E differenziert ausgestaltete personelle und sachliche Anwendungsbereich zu beachten. So ergeben sich beispielsweise mit Blick auf bundeseigene Gesellschaften im Unterschwellenbereich deutliche Abweichungen im Verhältnis zum Oberschwellenbereich, da diese mangels haushaltsrechtlicher Adressatenstellung nicht den Vorgaben des Unterschwellenvergaberechts unterliegen. Insoweit konsistent schränkt auch § 1 Abs. 5 BTTG-E den personellen Anwendungsbereich in dieser Hinsicht ein.

Hier lohnt sich für öffentliche Auftraggeber und – gerade aufgrund des konstitutiven Charakters des in § 3 BTTG-E verankerten Tariftreueversprechens – auch für beteiligte Unternehmen eine genaue Prüfung, ob das jeweilige Beschaffungsvorhaben dem personellen und sachlichen Anwendungsbereich des BTTG-E zuzuordnen ist. Auftraggeber können zudem von der flankierend vorgesehenen Ausnahmeregelung des § 129 Abs. 2 GWB Gebrauch machen und in Härtefällen von der Verpflichtung zur Einhaltung bundesgesetzlich festgelegter Ausführungsbedingungen absehen.

Da das BTTG-E gerade mit Blick auf die Wirkungen des in § 3 BTTG-E enthaltenen Tariftreueversprechens von der bislang gelebten Rechtspraxis auf Landesebene abweicht, ist der bloße Rückgriff auf bestehende Abläufe jedenfalls für Unternehmen, die nicht ohnehin vergleichbaren Regelungen unterliegen, risikobehaftet. Sollte sich die Gesetzesverkündung abzeichnen, ist eine genaue Auseinandersetzung mit der Materie unabdingbar.

Das BTTG-E wird im Falle seiner Verabschiedung die – angesichts der geplanten milliardenschweren Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz noch einmal an Bedeutung gewinnende – Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen des Bundes künftig maßgeblich prägen. Nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf vom 25. Juli 2025 würden bei Geltungsanordnung ab einem Schwellenwert in Höhe von 50.000 Euro zwischen 65 % und 80 % aller Bundesvergaben unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen– die große Mehrheit der Aufträge würde somit künftig Tariftreuepflichten unterliegen.

Für öffentliche Auftraggeber bedeutet das Gesetz potenziell einen deutlich höheren Prüf- und Dokumentationsaufwand. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) weist darauf hin, dass rund 1.400 Bundesauftraggeber betroffen seien und für jede Branche Informationspflichten und Nachweise zu den einschlägigen Arbeitsbedingungen vorzuhalten hätten. Zertifizierungsverfahren könnten langfristig Entlastung bringen, würden aber zunächst zusätzliche Verwaltungsstrukturen erfordern. Zugleich dürften tarifkonforme Angebote im Durchschnitt teurer ausfallen und damit die Beschaffungskosten des Bundes erhöhen.

Auch Wirtschaftsvertreter begegnen dem BTTG-E – neben Zweifeln an der EU-Rechts- und Verfassungskonformität des BTTG-E – insbesondere mit praktischen Bedenken. Unternehmen – insbesondere kleine und mittlere Betriebe (KMU) – stünden vor neuen Nachweis- und Dokumentationspflichten. Sie müssten die einschlägigen BMAS-Verordnungen kennen, umsetzen und deren Einhaltung belegen. Für nicht tarifgebundene Betriebe entstünde faktisch ein erheblicher Anpassungsdruck, um weiterhin an Bundesvergaben teilnehmen zu können, so der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in seinem Positionspapier vom 29. September 2025. Die Gesetzesinitiative steht damit jedenfalls in einem gewissen Spannungsfeld zu dem im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD im Übrigen ausgegebenen Ziel zum Abbau von Bürokratie. Darüber hinaus wird eine Diskriminierung inländischer Unternehmen, insbesondere des deutschen Mittelstands, befürchtet.

Auch die Durchsetzbarkeit des Gesetzes wirft Fragen auf. Ob die bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See angesiedelte neu geschaffene Prüfstelle Bundestariftreue die Einhaltung flächendeckend kontrollieren kann, bleibt abzuwarten. Vorgesehen seien laut der Bundesrechtsanwaltskammer lediglich anlassbezogene Prüfungen. Der DGB hält das für unzureichend und fordert stichprobenartige Kontrollen sowie eine Mindestprüfquote, um die Wirksamkeit der Tariftreuepflichten zu gewährleisten.

Zudem wird bezweifelt, ob das BTTG-E sein erklärtes Ziel einer höheren Tarifbindung tatsächlich erreicht. Vielmehr führe es zu einer Verdrängung bestehender Tarifverträge.

Befürworter – wie der DGB und ver.di – sehen im BTTG-E einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Tarifautonomie und zur Förderung fairer Wettbewerbsbedingungen. Es schaffe Anreize zur Tarifbindung und verhindere Preisunterbietung auf Kosten der Beschäftigten. Kritiker hingegen sehen in der gesetzlichen Verpflichtung zur Anwendung bestimmter Tarifverträge einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG sowie eine übermäßige Bürokratisierung. Auch der BDA hält bestehende Schutzmechanismen – etwa nach MiLoG, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und AEntG – bereits für ausreichend.

Trotz diverser Kritik eröffnet das Gesetz Chancen für eine gerechtere Auftragsvergabe. Es kann die Tarifbindung stärken, soziale Standards festigen und ein Signal für verantwortungsbewusste Beschaffung setzen. Entscheidend wird sein, ob der Bund den Ausgleich zwischen wirksamer Tariftreue und praktikabler Umsetzung findet. Gelingt dies, könnte das BTTG-E langfristig zu einem zentralen Instrument sozial nachhaltiger Vergabepolitik werden.

Der Gesetzesentwurf wurde erstmals am 10. Oktober 2025 im Bundestagsplenum beraten und zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen, federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. In der ersten Lesung wurde deutlich, dass das Bundestariftreuegesetz parteiübergreifend grundsätzlich auf Zustimmung stößt, jedoch hinsichtlich Bürokratieaufwand, Ausnahmeregelungen und praktischer Umsetzbarkeit noch erheblichen Diskussionsbedarf auslöst. Wir verfolgen das laufende Gesetzgebungsverfahren und stehen Unternehmen wie öffentlichen Auftraggebern beratend zur Seite – sowohl bei der strategischen Vorbereitung auf die neuen Vorgaben als auch bei der rechtssicheren Umsetzung künftiger Tariftreuepflichten. Wir unterstützen Sie dabei, die sich abzeichnenden Anforderungen frühzeitig zu identifizieren, Vergabeprozesse anzupassen und Compliance-Strukturen effizient zu gestalten.

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