Monthly Dose Arbeitsrecht 07/2025

Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der siebten Ausgabe 2025 die Entscheidungen:

Digitale Gewerkschaftswerbung: Kein Anspruch auf E-Mail-Adressen oder interne Plattformzugänge

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 28.01.2025 (1 AZR 33/24) über die Frage entschieden, ob eine tarifzuständige Gewerkschaft vom Arbeitgeber verlangen kann, für Werbe- und Informationszwecke digitale Kommunikationsmittel des Unternehmens (wie betriebliche E-Mail-Adressen, interne Plattformen oder Intranet-Verlinkungen) zu nutzen – und dies verneint.

Sachverhalt
  • Die Klägerin ist die für die Beklagte – der Obergesellschaft einer international tätigen Konzerngruppe – tarifzuständige Gewerkschaft. Sie wollte ihre Mitgliederwerbung und Informationsarbeit an die veränderten Arbeitsbedingungen und Kommunikationsgewohnheiten anpassen und stärker auf digitale Kanäle stützen.
  • In einem großen Betrieb der Beklagten mit ca. 5.400 Arbeitnehmern forderte die Klägerin digitale Zugangsrechte zu betrieblichen Kommunikationsmitteln, da viele Arbeitnehmer mobil arbeiten und nicht regelmäßig vor Ort sind, um Werbung und Informationen digital zu verbreiten.
  • Die Klägerin verlangte konkret: 

o Herausgabe sämtlicher dienstlicher E-Mail-Adressen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer

o Einrichtung eines automatisierten E-Mail-Verteilers

o Zugang zur konzernweiten Kommunikationsplattform „Viva Engage“ (ehemals Yammer) als „internal user“

o dauerhafte Verlinkung ihrer Internetseite auf der Startseite des Intranets

  • Die Beklagte lehnte die Forderungen der Gewerkschaft ab, dies u.a. mit dem Hinweis auf Datenschutz, auf Betriebsablaufstörungen und auf Eingriffe in ihre unternehmerische Freiheit.
Entscheidungsgründe
  • Keine Rechtsgrundlage: Weder Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit) noch einfachgesetzliche Vorschriften (§ 2 Abs. 2 BetrVG, § 78 Satz 2 BetrVG) begründen einen Anspruch auf die verlangten digitalen Zugänge des Arbeitgebers. Eine analoge Anwendung der im Bundespersonalvertretungsgesetz (§ 9 Abs. 3 S. 2 BPersVG) vorgesehenen Intranet-Verlinkungspflicht kommt im Betriebsverfassungsrecht nicht in Betracht.
  • Koalitionsfreiheit schützt zwar digitale Werbung – aber nicht jedes Mittel: Die Koalitionsfreiheit umfasst auch das Recht einer Gewerkschaft, für Mitglieder zu werben und Beschäftigte zu informieren – auch über digitale Kommunikationswege. Dieses Recht ist jedoch nicht grenzenlos: Es muss mit den Grundrechten des Arbeitgebers, etwa Eigentumsrecht (Art. 14 GG) und unternehmerische Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), in Ausgleich gebracht werden.
  • Die Herausgabe sämtlicher dienstlicher E-Mail-Adressen würde einen erheblichen organisatorischen Daueraufwand verursachen, da die Listen fortlaufend aktualisiert werden müssten. Zudem würde sie personenbezogene Daten aller Beschäftigten offenlegen und in deren Datenschutzinteressen eingreifen. Beschäftigte sollen nicht ohne ihre Zustimmung in einen Verteiler aufgenommen werden; vielmehr können sie ihre Adressen freiwillig mitteilen. Der Schutz vor unaufgeforderter elektronischer Werbung überwiegt daher das Werbeinteresse der Gewerkschaft.
  • Ein Zugang zu „Viva Engage“ als „internal user“ würde der Gewerkschaft weitreichende Einblicke in interne Unternehmens- und Beschäftigtendaten – einschließlich Beiträge, Dateien, Profile, Gruppenmitgliedschaften und Kommunikationsverläufe – eröffnen. Dieser tiefe Einblick geht deutlich über das für Werbezwecke Erforderliche hinaus und ist daher unverhältnismäßig.
  • Eine dauerhafte Verlinkung auf der Startseite des Intranets würde der Gewerkschaft ein ständiges digitales Präsenzrecht im Unternehmensauftritt verschaffen. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit umfasst jedoch die Entscheidung, welche Inhalte dort prominent platziert werden. Da zudem bereits eine Verlinkung über die Seite des Gesamtbetriebsrats besteht, fehlt es an der Notwendigkeit.
Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass es im Betriebsverfassungsrecht kein generelles digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften gibt. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, dienstliche E-Mail-Adressen herauszugeben, interne Plattformzugänge zu gewähren oder feste Intranet-Verlinkungen einzurichten.

Für die gewerkschaftliche Betätigung bedeutet dies, dass die klassischen Zugangswege – insbesondere der physische Zutritt zum Betrieb – weiterhin als ausreichend angesehen werden. Gewerkschaften müssen digitale Kontakte auf freiwillig bereitgestellte Daten der Beschäftigten stützen oder eigene Kanäle außerhalb der Arbeitgeberinfrastruktur nutzen.

Arbeitgeber können ihre digitalen Kommunikationssysteme durch klare interne Regelungen oder Betriebsvereinbarungen vor externer Nutzung schützen, ohne die Koalitionsfreiheit zu verletzen. Zugleich kann im Einzelfall erwogen werden, freiwillige Lösungen – etwa zeitlich begrenzte Intranet-Hinweise oder abgestimmte digitale Formate – zur Förderung eines konstruktiven Dialogs mitzutragen.

Globalverweisung auf MTV erfasst Ausschlussfristen – Sanierungstarifverträge ohne gesonderte Vereinbarung unwirksam

Das BAG hat in seinem Urteil vom 29.01.2025 (4 AZR 83/24) entschieden, dass eine arbeitsvertragliche Globalverweisung auf den gesamten einschlägigen Manteltarifvertrag auch die dort enthaltenen Ausschlussfristen wirksam erfasst und damit dem Kontrollprivileg des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB unterliegt. Spezialtarifverträge - wie Sanierungstarifverträge - gelten ohne gesonderte vertragliche Vereinbarung hingegen nicht für außertarifliche Beschäftigte.

Sachverhalt
  • Der Kläger war von April 2008 bis Dezember 2022 als Ausbildungsleiter bei dem beklagten Arbeitgeber tätig, der wiederum der Tarifbindung der hessischen Metall- und Elektroindustrie unterlag. Er war als außertariflicher Mitarbeiter (AT-Mitarbeiter) eingestuft und erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 4.550 EUR.
  • Der Arbeitsvertrag enthielt neben der Festlegung der Vergütung einzelne weitere inhaltliche Regelungen u.a. zur Kündigungsfrist und darüber hinaus die Klausel, dass „sämtliche weiteren Vertragsbestandteile, wie Urlaubsanspruch, Urlaubsgeld, Sonderzahlung etc., sich nach den tarifrechtlichen Bestimmungen des Manteltarifvertrages der Hessischen Metallindustrie“ (MTV) richten. § 29 MTV sieht eine dreimonatige Ausschlussfrist für alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor.
  • Zwischen 2019 und 2021 schloss der Beklagte mit der IG Metall mehrere firmenbezogene Sanierungstarifverträge, welche vorübergehende Stundungen von Entgeltansprüchen in Höhe von zunächst 10 %, später 5 % und zuletzt 2,5 % vorsah. Der Kläger verweigerte als AT-Mitarbeiter die Unterzeichnung einer vom Beklagten vorgelegten Änderungsvereinbarung. Gleichwohl kürzte der Beklagte sein Entgelt entsprechend den Sanierungstarifverträgen - in Summe um insgesamt 7.459,70 EUR brutto.
  • Der Kläger machte nach der Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses im September 2022 den vorgenannten Geldbetrag geltend. Er vertrat die Auffassung, die tarifliche Ausschlussfrist des § 29 MTV sei nicht wirksam arbeitsvertraglich in Bezug genommen worden. Die Beklagte berief sich demgegenüber auf den Verfall der Ansprüche mit Verweis auf § 29 MTV.
  • Das Arbeitsgericht Offenbach gab der Klage statt, das LAG Hessen wies die Klage auf Berufung der Beklagten ab. Mit der Revision verfolgte der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
  • Das BAG bestätigte zunächst, dass die Sanierungstarifverträge auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht anwendbar waren. Die Bezugnahmeklausel erfasste ausschließlich den MTV, nicht jedoch weitere Tarifverträge. Auch eine spätere vertragliche Einbeziehung dieser Sanierungstarifverträge – etwa durch konkludente Zustimmung – lag nicht vor.
  • Das BAG konnte nach seiner rechtlichen Einschätzung nicht abschließend entscheiden, ob die tarifvertragliche Ausschlussfrist des § 29 MTV auch die streitgegenständlichen Gehaltsdifferenzansprüche erfasst: Im Ausgangspunkt inkludiere die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel „sämtliche weiteren Vertragsbestandteile … richten sich nach den tarifrechtlichen Bestimmungen des Manteltarifvertrages“ nach Auffassung des BAG eine dynamische Globalverweisung auf den gesamten MTV in seiner jeweils geltenden Fassung. Die beispielhafte Aufzählung („wie … etc.“) stelle keine Einschränkung dar. Eine Auslegung nach § 305c Abs. 2 BGB scheide aus, da keine erheblichen Zweifel an der Reichweite der Klausel bestehen. Die Klausel sei weder überraschend noch intransparent.
  • Die tarifliche Ausschlussfrist des § 29 Ziff. 1 Buchst. b MTV erfasse „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ einschließlich Entgeltforderungen, mit Ausnahme von Zuschlägen und Mehrarbeitsvergütungen (Ziff. 1 a). Soweit die Frist auch den gesetzlichen Mindestlohn oder Vorsatzhaftung betreffe, sei sie insoweit unwirksam (§ 3 MiLoG, § 202 Abs. 1 BGB), bleibe aber im Übrigen wirksam.
  • Das BAG könne den Rechtsstreit deshalb nicht abschließend entscheiden, da das LAG nicht vollständig festgestellt habe, ob der MTV in seinem gesamten Umfang auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sei. (Nur) Im Fall der vollständigen Anwendung des MTV auf das Arbeitsverhältnis sei die AGB-Inhaltskontrolle ausgeschlossen, (§ 310 Abs. 4 BGB). Entscheidend dafür sei, ob die neben dem in Bezug genommenen Tarifvertrag vereinbarten arbeitsvertraglichen Regelungen (z. B. Überstundenpauschale, Kündigungsfristen) nur deklaratorischer Natur sind oder inhaltlich abweichende Regelungen vom Tarifvertrag enthalten.
Folgen für die Praxis

Arbeitgeber sollten darauf achten, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln klar und eindeutig auf den gesamten einschlägigen Tarifvertrag verweisen, um das Kontrollprivileg des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB zu nutzen. Eine beispielhafte Aufzählung einzelner Regelungsbereiche („wie … etc.“) ist zulässig, darf den Globalcharakter der Verweisung aber nicht einschränken; die Einbeziehung des gesamten Tarifwerks einer Branche ist nicht erforderlich. Spezial- oder Haustarifverträge – etwa Sanierungstarifverträge – gelten für außertarifliche Beschäftigte nur, wenn sie ausdrücklich und einvernehmlich vereinbart werden; bloßes Schweigen oder die Hinnahme von Kürzungen genügt nicht. Tarifliche Ausschlussfristen kommen nur dann zur Anwendung, wenn der einschlägige Tarifvertrag insgesamt gilt und die Anspruchskategorie erfasst wird. Sie sind zwar insoweit unwirksam, als sie den gesetzlichen Mindestlohn (§ 3 MiLoG) oder die Haftung wegen Vorsatzes (§ 202 Abs. 1 BGB) betreffen, bleiben im Übrigen jedoch wirksam.

Bloße Verzögerung der Auskunft reicht nicht aus für DSGVO-Schadensersatz 

Das BAG entschied in seinem Urteil vom 20.02.25 (8 AZR 61/24), dass ein bloßer Zeitverzug bei der Erfüllung eines Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO für sich genommen keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO begründet. Maßgeblich ist, ob der Betroffene einen konkreten, objektiv nachvollziehbaren Schaden – etwa in Form eines begründeten Kontrollverlusts über seine personenbezogenen Daten – darlegen und beweisen kann. Abstrakte Befürchtungen oder bloße negative Gefühle wie Sorge, Angst oder Ärger reichen dafür nicht aus.

Sachverhalt
  • Der Kläger war im Dezember 2016 für einen Monat bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt und hatte bereits 2020 auf ein erstes Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO die relevanten Informationen vollständig erhalten.
  • Am 1. Oktober 2022 verlangte der Kläger erneut Auskunft wegen vermuteter fortdauernder Datenverarbeitung und setzte eine Frist bis zum 16.10.2022; nach ausbleibender Reaktion mahnte er am 21.10.2022 mit Frist bis zum 31. Oktober nach.
  • Die Beklagte antwortete am 27.10.2022 mit einer aus ihrer Sicht ausreichenden Auskunft, die der Kläger wegen fehlender Angaben zur Speicherdauer, zu den Empfängern und zur Vollständigkeit der Datenkopie beanstandete. Nach weiterem Schriftwechsel erteilte die Beklagte am 1. Dezember 2022 ergänzende Informationen.
  • Mit Schreiben vom 30.10.2022 verlangte der Kläger mindestens 2.000 EUR immateriellen Schadensersatz wegen eines behaupteten Kontrollverlusts über seine Daten sowie wegen Sorge, Angst und Frustration.
  • Das Arbeitsgericht Duisburg erkannte für den Kläger einen Schadensersatzanspruch von 10.000 EUR zu, das LAG Düsseldorf wies die Klage vollständig ab. In der Revision begehrte der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
  • Keine Entscheidung zur Verstoßfrage: Das BAG ließ zunächst ausdrücklich offen, ob die verspätete bzw. unvollständige Auskunftserteilung überhaupt einen Verstoß im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO darstellt. Die Ablehnung des Anspruchs stützte sich allein auf das Fehlen eines nachgewiesenen Schadens.
  • Erfordernis eines konkreten Schadens: Für einen Anspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO müssen Verstoß, Schaden und Kausalität kumulativ vorliegen. Der Schaden ist eigenständig darzulegen und zu beweisen; pauschale Behauptungen genügen nicht.
  • Kontrollverlust nur bei objektiv begründeter Befürchtung: Ein Kontrollverlust über personenbezogene Daten kann einen immateriellen Schaden darstellen, setzt jedoch eine objektiv nachvollziehbare und begründete Befürchtung eines Datenmissbrauchs voraus. Eine bloße verspätete Auskunft ohne weitere Anhaltspunkte reicht dafür nicht aus.
  • Negative Gefühle allein genügen nicht: Emotionen wie Ärger, Frustration oder abstrakte Sorgen stellen ohne konkrete Tatsachengrundlage keinen ersatzfähigen immateriellen Schaden dar. Notwendig ist ein substantiiertes Vorbringen, aus dem sich eine begründete Befürchtung ableiten lässt.
  • Keine Straf- oder Abschreckungsfunktion: Art. 82 DSGVO dient allein dem Ausgleich tatsächlich entstandener Schäden und verfolgt keinen Straf- oder Abschreckungszweck. Eine bloße Erschwerung der Rechtsdurchsetzung begründet daher keinen Ersatzanspruch. Über den Inzidentantrag der Beklagten auf Ersatz von Vollstreckungsschäden entschied das BAG nicht selbst, sondern verwies die Sache insoweit an das LAG zurück.
Folgen für die Praxis

Arbeitgeber sollten DSGVO-Auskunftsersuchen weiterhin ernst nehmen und fristgerecht beantworten. Für Arbeitgeber zeigt die Entscheidung des BAG jedoch auch, dass eine verspätete oder zunächst unvollständige Beantwortung eines Auskunftsersuchens nach Art. 15 DSGVO allein in der Regel nicht zu einem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO führt, sofern der Betroffene keinen konkreten, objektiv begründeten Schaden nachweisen kann. Das mindert das kommerzielle Risiko bei rein formalen Verstößen, entbindet Arbeitgeber aber nicht von der Pflicht, Auskunftsersuchen fristgerecht und vollständig zu beantworten. Um im Streitfall abgesichert zu sein, empfiehlt sich eine lückenlose Dokumentation der Bearbeitung, einschließlich Fristen, Inhalten und Kommunikationsverlauf. Arbeitgeber sollten sich jedoch bewusst sein, dass bei tatsächlichen Risiken wie Datenverlust oder -missbrauch schnell ein ersatzfähiger Schaden bejaht werden kann. Eine verspätete Auskunft kann zudem weiterhin aufsichtsbehördliche Maßnahmen nach sich ziehen und das Vertrauen der Betroffenen beeinträchtigen.

(Kein) Sofort- oder Schnellverfall gevesteter virtueller Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Eigenkündigung 

Das BAG hat am 19.03.2025 entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die (1) gevestete virtuelle Optionsrechte des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Eigenkündigung sofort verfallen lassen, oder (2) die virtuellen Optionsrechte doppelt so schnell verfallen lassen, wie sie entstanden sind, jeweils den Mitarbeiter unangemessen benachteiligen können.

Sachverhalt
  • Der klagende Arbeitnehmer war vom 01.04.2018 bis zum 31.08.2020 bei der Beklagten beschäftigt.
  • Die Beklagte sagte dem Kläger mit „Allowance Letter“ vom 24.08.2019 23 virtuelle Optionsrechte nach den Bestimmungen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOP) zu. Das ESOP sah u. a. vor:

o Vesting-Periode von vier Jahren, wobei Zeiträume der unbezahlten Freistellung für den Vestingzeitraum nicht berücksichtigt werden sollten

o Sofortverfall sämtlicher bereits gevesteter Optionen bei Eigenkündigung (§ 4.2 ESOP)

o Ratierliche Verfall sämtlicher Optionen binnen zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (quartalsweise 12,5 %, beginnend drei Monate nach Ausscheiden, § 4.5 ESOP)

  • Bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2020 waren 31,25 % (7,1875 Optionen) gevestet. Nach einem späteren Aktiensplit 1:20 entsprach dies 143,75 Optionen.
  • Der Kläger verlangte im Juni 2022 die Feststellung, dass diese Optionen auch nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses weiterhin bestehen. Die Beklagte lehnte dies ab und berief sich hierzu auf die Verfallklauseln und den freiwilligen Anreizcharakter des ESOP. Das Arbeitsgericht München und das LAG München wiesen die Klage ab. Das BAG gab der Klage statt.
Entscheidungsgründe
  • Nach Auffassung des BAG sind die dem Kläger zugeteilten und zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gevesteten virtuellen Optionen nicht aufgrund der ESOP-Verfallklauseln zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Das ESOP inkludiere AGB und die ESOP-Verfallklauseln würden gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB verstoßen und daher den Kläger unangemessen benachteiligen.
  • AGB-Kontrolle – keine Unwirksamkeit wegen Intransparenz aufgrund der Verwendung des „vesting“-Begriffs und der damit verbundenen Auslegungsbedürftigkeit: Das BAG erkannte zunächst, dass die Verwendung des „vesting“ als Terminus für die Unverfallbarkeit der Optionen keine AGB-Intransparenz inkludiert. Der Begriff ist zwar auslegungsbedürftig („Unverfallbar“ vs. „Ausübbar“), aber die relevante Auslegung sei allein für die Inhaltskontrolle der Klausel maßgeblich.
  • Entgeltcharakter der Optionen bei Nichtberücksichtigung von entgeltlosen Zeiträumen für das Vesting: Gevestete virtuelle Optionen seien als eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung anzusehen, wenn nach dem ESOP entgeltlose Zeiträume für das Vesting nicht berücksichtigt werden sollen. Ihr ersatzloser Wegfall im Fall der Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses stehe dann im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, indem sie außer Acht lässt, dass der Arbeitnehmer die Gegenleistung bereits erbracht hat.
  • Unverhältnismäßige Erschwerung des beruflichen Fortkommens gem. Art. 12 GG: Zudem würden Klauseln, die im Fall der Eigenkündigung einen Sofortverfall sämtlicher gevesteter Optionen oder einen überproportional schnellen Verfall nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (hier: über vierjährigen Zeitraum gevestete Aktienoptionen verfallen innerhalb von zwei Jahren nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) mit sich bringen, das verfassungsrechtlich in Art. 12 GG geschützte berufliche Fortkommen des Mitarbeiters unverhältnismäßig erschweren, indem dieser von einer solchen Eigenkündigung absehen würde; dies insbesondere dann, wenn es zu einer solchen Eigenkündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers wird.
Folgen für die Praxis

Das – inhaltlich nicht vollständig überzeugende – Urteil des BAG (siehe hier) bedingt für Arbeitgeber, die aktuell oder zukünftig ihre Mitarbeiter über langfristige Mitarbeiterbeteiligungsprogramme an ihr Unternehmen binden wollen und hierfür unter anderem Vesting-Regelungen vorsehen, eine Adjustierung der Vesting-Regelungen und in diesem Rahmen auch der Regelungen zum Verfall der maßgeblichen Vergütungsoptionen in den sog. Bad Leaver-/Good Leaver-Regelungen. Sollen die Regelungen zum Beteiligungsprogramm insbesondere einen vollständigen Verfall der Optionen bei einem ausschließlich auf den Willen des Mitarbeiters beruhenden Ausscheiden während des Vesting-Zeitraums vorsehen, sollte die Gewährung der Optionen generell ausschließlich an den Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Vesting-Zeitpunkt und nicht an weitere sich auf die Arbeitsleistung des Mitarbeiters beziehende Voraussetzungen geknüpft werden.

Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts bei Entzug einer potenziellen Kundin aus der Betreuungszuständigkeit einer Beraterin 

Das LAG Baden-Württemberg entschied mit Urteil vom 20.11.2024 (10 Sa 13/24), dass der Entzug einer potenziellen Kundin aus der Betreuungszuständigkeit einer Beraterin auf Wunsch der Kundin eine unmittelbare Benachteiligung des Geschlechts im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG darstellt. Erfüllt der Arbeitgeber einen solchen diskriminierenden Kundenwunsch, ohne Schutzmaßnahmen zu ergreifen, verletzt er nach Auffassung des LAG seine Pflichten aus § 12 Abs. 4 AGG und haftet auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Sachverhalt
  • Die Klägerin war seit 1992 bei dem beklagten Bauunternehmen im Vertrieb tätig. Ihre Vergütung sah u.a. eine variable Vergütungskomponente vor, demnach die Klägerin für jedes erfolgreich von ihr betreute Bauprojekt eine Provision von 16.000 EUR erhält.
  • Die Klägerin wurde in einem Bauprojekt über das unternehmensinterne System der Beklagten der dortigen Bauinteressentin als Beraterin zugeordnet. Die Bauinteressentin äußerte den Wunsch, nicht von der Klägerin als Frau, sondern von einem männlichen Berater betreut zu werden.
  • Der zuständige Regionalleiter, als unmittelbarer Vorgesetzter der Klägerin, entsprach diesem Wunsch und übernahm die Betreuung selbst; zugleich erklärte sich die Beklagte dazu bereit, der Klägerin im Fall des erfolgreichen Abschlusses des Bauprojekts die relevante Provision zu gewähren.
  • Die Klägerin sah sich durch den Wechsel des Betreuers – auch wenn er auf Aufforderung der Kundin erfolgte – wegen ihres Geschlechts diskriminiert und wandte sich an die betriebliche AGG-Beschwerdestelle. Diese hielt die vorgenannte Maßnahme der Beklagten für ausreichend, verneinte aber nicht den diskriminierenden Charakter des Kundenwunsches.
  • Die Klägerin verlangte wegen der geschlechtsbezogenen Diskriminierung einen immateriellen Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern (84.300 EUR).
  • Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Sie argumentierte, dass es sich lediglich um Äußerungen einer Dritten handle, die ihr nicht zurechenbar seien, und dass die Übernahme der Betreuung durch den Regionalleiter nur dem Schutz der Klägerin gedient habe. Das Arbeitsgericht Freiburg wies die Klage ab. Das LAG Baden-Württemberg gab der Klage dem Grunde nach statt, erkannte der Höhe nach aber nur eine Entschädigung von 1.500 EUR.
Entscheidungsgründe
  • Unmittelbare Benachteiligung: Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin allein aufgrund ihres Geschlechts schlechter behandelt wurde, indem ihr die Kundin entzogen und ihrem männlichen Vorgesetzten zugewiesen wurde.
  • Zurechnung: Das Verhalten des Regionalleiters sei der Beklagten auch zuzurechnen. Entscheidend war, dass er den diskriminierenden Kundenwunsch übernahm, anstatt ihn zurückzuweisen oder mildere Alternativen zu prüfen.
  • Pflichten aus § 12 Abs. 4 AGG: Arbeitgeber haben Beschäftigte auch gegen Benachteiligungen durch Dritte zu schützen. Hier hätte die Beklagte nach Auffassung des LAG gegensteuern und der Kundin die fachliche Eignung der Klägerin vermitteln müssen. Zugleich erkannte das LAG an, dass Arbeitgeber in diesem Zusammenhang nicht verpflichtet sind, eine Geschäftsbeziehung zu solchen Kunden bei fortgesetzten diskriminierungsrelevanten Wünschen auch nach einer solchen ergebnislosen Vermittlung abzubrechen.
  • Keine Rechtfertigung: Eine sachliche Voraussetzung nach § 8 AGG habe nicht vorgelegen. Das Geschlecht war für die Tätigkeit als Beraterin nicht beruflich erforderlich.
  • Höhe der Entschädigung: Das LAG sprach der Klägerin eine Entschädigung von 1.500 EUR zu. Bei der Bemessung berücksichtigte es die Schwere des Verstoßes, den Präventionszweck, aber auch das Vorgehen der Beklagten zugunsten der Klägerin (Einbindung der AGG-Beschwerdestelle). Die geltend gemachte Forderung von 84.300 EUR sei insoweit deutlich überzogen.
Folgen für die Praxis

Das Urteil macht deutlich, dass diskriminierungsrelevante Wünsche von Kunden, die an ein in § 1 AGG genanntes Merkmal – hier das Geschlecht – anknüpfen, generell nicht einfach übernommen werden sollten. Andernfalls laufen sie Gefahr, dass das hierüber dann entscheidende Arbeitsgericht eine unmittelbare Benachteiligung der betroffenen Beschäftigten annimmt und ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG entsteht. Arbeitgeber sollten den diskriminierungsrelevanten Kontext mit dem Kunden im Anbahnungsprozess der konkreten Opportunität/Transaktion erörtern, beispielsweise indem sie Kunden über die fachliche Eignung der betreffenden Person aufklären oder alternative Lösungswege prüfen. Die Erörterung ist in geeigneter Weise zu dokumentieren. Zudem bietet es sich im Einzelfall an, Schulungen zum Umgang mit diskriminierenden Kundenwünschen zu etablieren, damit Führungskräfte in solchen Situationen rechtssicher und präventionsorientiert reagieren können.

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