Spätestens seit 2008 war die Rechtsprechung des BAG gefestigt, dass die Bedingungen zum Erwerb von Aktienoptionen in Mitarbeiterbeteiligungs-programmen als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten müssen und mithin einer AGB-Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterliegen. Mehrfach hatten allerdings Vertragsklauseln, die zum Verfall von Aktienoptionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses führten, die Prüfung bestanden und solche Klauseln fanden in der Praxis weite Verbreitung.
Das BAG hat nunmehr mit Urteil vom 19. März 2025 (10 AZR 67/24) in einer erneuten Entscheidung zur Zulässigkeit von Verfallsklauseln für virtuelle Optionsrechte nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses die bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und den Prüfungsmaßstab zum Nachteil der Unternehmen deutlich verschoben.
Die Instanzgerichte in München hatten sich noch an der Leitentscheidung des BAG aus dem Jahr 2008 orientiert und die rechtliche Argumentation in teils wörtlicher Wiederholung der damaligen Urteilsbegründung des BAG abgefasst. Das beklagte Unternehmen dürfte deshalb der Revision gelassen entgegensehen haben. Das BAG überraschte mit einer Abkehr von der eigenen Rechtsprechung durch einen starken Fokus auf dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers.
Die Instanz-Entscheidungen hatten allerdings inhaltlich schon darunter gelitten, dass die Parteien in babylonischer Sprachverwirrung verstrickt waren. Das vom beklagten Unternehmen angebotene Mitarbeiterbeteiligungsprogramm war in englischer Sprache abgefasst und verwendete weit verbreitete und geläufige englische Fachbegriffe. Die Parteien stritten über „ge-vestete“ Optionsrechte, die nach Auffassung des beklagten Unternehmens dem Mitarbeiter nach dessen Eigenkündigung auch wieder genommen werden konnten. Dieser wollte „Vesting“ mit „Unverfallbarkeit“ übersetzen, worin ihm das Arbeitsgericht noch folgte. Erst das LAG legte sich auf die Übersetzung des Begriffs „Vesting“ mit „Ausübbarkeit“ fest. Somit konnte das LAG in Anwendung der bisherigen BAG-Rechtsprechung noch zu dem Ergebnis kommen, dass auch „ge-vestete“ Optionsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung wieder entfallen können. Im konkreten Fall waren die Ansprüche zwar durch Ablauf der Vesting-Periode entstanden, konnten jedoch erst nach Eintritt weiterer Bedingungen effektiv ausgeübt werden. Während dieser praktisch verlängerten Wartefrist hatte der Arbeitnehmer nach Bewertung des LAG nur spekulative und ungesicherte Verdienstmöglichkeiten, die dem Verfall bei Eigenkündigung unterworfen waren.
Das BAG widmete einen großen Teil seiner Urteilsbegründung Verfahrensfragen und den letztlich nicht durchgreifenden Argumenten des klagenden Arbeitnehmers. Fast beiläufig rief das Gericht einige arbeitsrechtliche Grundsätze in Erinnerung, die den Gestaltungsspielraum der Unternehmen bei Mitarbeiterbeteiligungen einschränken: so gilt, dass freiwillige Leistungen zwar als solche gewährt werden, aber zu gesicherten Rechtspositionen heranwachsen können und somit nicht frei widerruflich sind. Ferner unterliegen Mitarbeiterbeteiligungsprogramme wie selbstverständlich der AGB-Inhaltskontrolle und die Rechte aus den Beteiligungsprogrammen sind regelmäßig Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vergütungsregelung.
Schon diese Mahnungen des BAG muss Unternehmen aufhorchen lassen, die doch regelmäßig versuchen, die Beteiligungsprogramme vom Arbeitsverhältnis abzukoppeln und die AGB-Kontrolle zu negieren.
Das BAG kippte die konkrete Verfallklausel, weil sie nach § 307 (1) S. 1, (2) Nr. 1 als AGB-Klausel den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt: im konkreten Fall waren nach Verständnis des BAG die ge-vesteten Ansprüche die Gegenleistung für Arbeitsleistung während der Vesting-Periode. Damit standen die Ansprüche unter dem Schutz des Grundsatzes „Arbeit gegen Vergütung“ aus § 611a BGB und konnten jedenfalls nicht bei einer Eigenkündigung wieder entzogen werden.
Hatte das BAG einmal in den ge-vesteten Ansprüchen eine Gegenleistung für Arbeit erkannt, ist der Arbeitnehmer auch gegen weitere Verfallsklauseln im Zeitraum nach dem Vesting geschützt. Der drohende Verfall kann eine unangemessene Einschränkung des letztlich im Grundgesetz durch Art. 12 geschützten Kündigungsrechts des Arbeitnehmers darstellen.
Für die Praxis der unternehmerischen Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen ist die BAG-Entscheidung von schwieriger Reichweite. Es wird kaum rechtssicher gelingen, die Entscheidung auf den Einzelfall zu begrenzen. Es bedarf für jedes Beteiligungsprogramm, das mit den Kategorien einer freiwilligen Zuteilung, gefolgt von einer ersten Wartefrist bis zum Vesting und einer weiteren Periode bis zur Ausübung des Anspruchs arbeitet, der genauen Prüfung, ob die gewährten Vorteile wieder verfallen können.
Das BAG hat dem Wirtschaftsstandort Deutschland mit der Entscheidung keinen Gefallen getan. Deutsche Unternehmen, die global operieren, sind darauf angewiesen, ihren Mitarbeitern Vergütungsmodelle anzubieten, die international wettbewerbsfähig sind. Die battle for the talent kann nicht gewonnen werden, wenn die Unternehmen Gefahr laufen, sich mit international marktüblichen Vergütungsmodellen vor deutschen Arbeitsgerichten im Übersetzungsdschungel vereidigter Dolmetscher und kleinteilig schulmäßiger AGB-Prüfung zu verlieren.
Im entschiedenen Fall waren dem Arbeitnehmer von Anfang an nur Vorteile mit begrenzter Reichweite und unter dem Vorbehalt des Verfalls gewährt worden. Natürlich sind im wirtschaftlichen Sinne alle solche Zusagen Gegenleistung für Arbeit. Das kann aber nicht zu einer Übergewichtung des Schutzinteresses des Arbeitnehmers führen im Unternehmen, das im internationalen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein muss. Die Entscheidung des BAG führt zur Flucht aus deutschem Arbeitsrecht und lädt die Unternehmen dazu ein, Beteiligungsprogramme aus dem Ausland heraus anzubieten. Hier bleibt aber ganz erheblicher Zweifel, ob zwingendes deutsches Arbeitsrecht mit den vom BAG bemühten Grundsätzen das ausländische Recht zur Geltung kommen lässt.
Alternativ können Unternehmen risikobasiert die Beteiligungen anbieten und bemüht bleiben, die Fallstricke der neuen BAG-Rechtsprechung zu umfahren. Die AGB-Kontrolle könnte z.B. vermieden werden, wenn die Beteiligungsprogramme als Betriebsvereinbarung aufgesetzt würden
Bei berechtigter Kritik an der Entscheidung des BAG muss ein Appell aber doch von allen gehört werden: der oftmals unreflektierte Gebrauch englischer Begriffe in Verträgen nach deutschem Recht muss professionalisiert und abgesichert sein. Es darf dem Unternehmen nicht passieren, dass ein scheinbar gängiger Begriff wie „Vesting“ so verschieden interpretiert wird, dass ein Verfahren bis zum BAG provoziert wird, das dem einzelnen Kläger Brot aber der Wirtschaft Steine beschert.