Der EuGH hat entschieden, dass nationale Regelungen, die Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur bei Überschreiten der regulären Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten vorsehen, eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten darstellen können. Inzwischen hat auch das BAG in beiden anhängigen Verfahren Urteile im Sinne der EuGH-Entscheidung gesprochen.
Sachverhalt
- Der zwischen dem Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (ver.di) und dem Beklagten geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) sah gem. §§ 10, 13 Überstundenzuschläge für Arbeitsstunden vor, die die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten (von wöchentlich 38,5 Stunden) überschreiten.
- Zwei Teilzeitbeschäftigte (40 % bzw. 80 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft) klagten gegen ihre Arbeitgeber und forderten Überstundenzuschläge für Stunden, die über ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit hinausgingen, aber unter der regulären Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten lagen sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
- Das LAG Hessen sprach den Arbeitnehmerinnen die begehrten Überstundenzuschläge zu. Das BAG legte dem EuGH in der Revisionsinstanz die o.g. Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidungsgründe
- Nach Auffassung des EuGH sei eine Ungleichbehandlung gegeben, wenn Teilzeitbeschäftigte überproportional viele Stunden arbeiten müssten, um Überstundenzuschläge zu erhalten.
- Diese Praxis verstoße gegen die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG sowie gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gemäß Art. 157 AEUV und der Richtlinie 2006/54/EG, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gleiches Entgelt erhalten müssen.
- Der EuGH stellte durch seine Entscheidung klar, dass Art. 157 Abs. 1 AEUV, § 4 Nr. 1, 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der RL 97/81/EG und die Richtlinie 2006/54/EG Benachteiligungen untersagen, die nicht objektiv und transparent begründet sind. Der EuGH betonte, dass die ihm vorgelegte tarifvertragliche Regelungen nicht durch legitime Ziele gerechtfertigt werden können, da sie nicht geeignet sind, die angestrebten Ziele zu erreichen.
- In der Folge entschied das BAG in der Revisionsinstanz mit Urteilen vom 05.12.2024 (8 AZR 370/20 und 8 AZR 372/20), dass die entsprechende tarifvertragliche Regelung gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten verstoße. Es entschied, dass Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf Überstundenzuschläge haben, sobald sie ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten, und nicht erst, wenn sie die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschreiten.
- Zudem sprach das Gericht den Klägerinnen eine Entschädigung zu, da sie durch die Anwendung der tariflichen Regelung eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren haben.
Folgen für die Praxis
Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern für die Leistung von Mehrarbeit Überstundenzuschläge gewähren, haben ihre Zuschlagsregelungen auf die Vereinbarkeit mit den vom EuGH und dem BAG aufgestellten Rechtssätzen zu überprüfen und zu regeln, dass ein solcher Überstundenzuschlag auch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (bereits) für jede Mehrarbeit besteht, die die regelmäßige individuelle Arbeitszeit überschreitet. Dies bedingt zugleich aus personalpolitischer Sicht, dass teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer dann unter Berücksichtigung der geleisteten Mehrarbeit in dem jeweiligen Gesamtvolumen der Arbeitszeit eine höhere Vergütung erzielen als vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter, mit gleichem Arbeitsvolumen – hierzu sollten Arbeitgeber praxisgerechte Lösungen (z.B. durch eine bedarfsgerechte Steuerung der Erforderlichkeit von relevanter Mehrarbeit, sofern dies operativ darstellbar ist) entwickeln.