Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der achten Ausgabe 2025 die Entscheidungen:
Vergütungsanpassung von Betriebsratsmitgliedern
Das BAG hat mit Urteil vom 20.03.2025 (7 AZR 46/24) entschieden, dass ein Arbeitgeber, der eine zuvor auf § 37 Abs. 4 BetrVG bezogene und gewährte Vergütungserhöhung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds korrigiert, darlegen und beweisen muss, dass diese Erhöhung objektiv fehlerhaft war und nicht den Vorgaben des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG entsprach. Zudem hat das BAG klargestellt, dass die vom freigestellten Betriebsratsmitglied für die Vergütungsanpassung herangezogenen Rechtsgrundlagen des § 37 Abs. 4 BetrVG und des § 78 S. 2 BetrVG jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen und damit verbundene, voneinander unabhängige Streitgegenstände darstellen und daher in einem entsprechenden Vergütungsrechtsstreit jeweils eigenständig herangezogen werden.
o § 37 Abs. 4 BetrVG: Mindestentgeltgarantie basierend auf der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer.
o § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB: Anspruch auf eine hypothetische Karriereentwicklung (fiktiver Beförderungsanspruch).
Das BAG stellt hierzu klar, dass der klagende Mitarbeiter als Betriebsratsmitglied die beiden Anspruchsgrundlagen im Rechtsstreit unter Berücksichtigung der jeweils zugrunde liegenden Lebenssachverhalte in eine Rangfolge zu setzen hat.
o Ist dagegen Streitgegenstand die Korrektur einer bereits in der Vergangenheit gewährten Vergütungserhöhung durch den Arbeitgeber, soll dieser nach der Auffassung des BAG die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Vergütungserhöhung tragen, sofern diese Vergütungserhöhung in der Vergangenheit für das Betriebsratsmitglied als Anpassung nach § 37 Abs. 4 BetrVG erschien.
o Das Betriebsratsmitglied soll grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass der Arbeitgeber seine Pflicht zur korrekten Anpassung erfüllt. Zwingend ist diese auf einen Vertrauensschutz des Betriebsratsmitglieds abzielende Begründung nicht; inhaltlich sachgerechter erscheint hierzu die Begründung, dass die Partei die Darlegungs- und Beweislast trifft, die sich zur Begründung ihrer Rechtsposition auf eigenes gesetzeswidriges Verhalten beruft.
o Für den konkreten Vortrag des Arbeitgebers verlangt das BAG, dass dieser die von ihm herangezogenen Vergleichspersonen namentlich zu benennen hat, um dem klagenden Betriebsratsmitglied eine Überprüfung zu ermöglichen. Datenschutzrechtliche Bedenken stünden dieser Darlegung nicht entgegen, da sich der Arbeitgeber die Offenlegung der maßgeblichen personenbezogenen Daten der vergleichbaren Mitarbeiter auf Art. 6 DSGVO stützen könne. Falls keine vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb existieren, könne auf Arbeitnehmer anderer Betriebe des Arbeitgeber-Unternehmens zurückgegriffen werden, wenn dort einheitliche Vergütungs- und Entwicklungsregeln gelten.
Das Urteil stärkt den tatsächlichen Entgeltschutz von Betriebsratsmitgliedern zu tatsächlich im Kontext mit § 37 Abs. 4 BetrVG durchgeführten Entgelterhöhungen, indem es dem Betriebsratsmitglied einen umfassenden Vertrauensschutz zuschreibt und dem Arbeitgeber die umfassende Beweislast für die Fehlerhaftigkeit einer zurückgenommenen Vergütungserhöhung auferlegt.
Arbeitgeber sollten Vergütungsanpassungen für freigestellte Betriebsratsmitglieder künftig besonders sorgfältig dokumentieren und transparent begründen. Wird eine Anpassung ausdrücklich auf § 37 Abs. 4 BetrVG gestützt, kann sie später nur korrigiert werden, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sie objektiv fehlerhaft war. Jede Anpassungsentscheidung sollte daher schriftlich festgehalten und auf konkrete Vergleichspersonen gestützt werden.
Die herangezogenen Vergleichspersonen sind im Streitfall namentlich zu benennen; datenschutzrechtliche Einwände stehen dem nicht entgegen. Arbeitgeber sollten ihre internen Datenschutzvorgaben entsprechend überprüfen. Es empfiehlt sich, auf mögliche Auskunftsansprüche von Betriebsratsmitgliedern vorbereitet zu sein und die Entwicklung der relevanten Vergleichsgruppen laufend zu dokumentieren.
Berücksichtigung virtueller Aktienoptionen bei der Karenzentschädigung
Das BAG hat mit Urteil vom 27.03.2025 (8 AZR 63/24) entschieden, dass Leistungen aus virtuellen Aktienoptionen (VSOP) bei der Berechnung der Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2, § 74b Abs. 2 HGB zu berücksichtigen sind, soweit diese als Entgelt für die Arbeitsleistung zu qualifizieren sind und während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurden. Optionen, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden, bleiben außer Betracht.
o Vertragsgemäße Leistungen i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB inkludieren alle Leistungen, die der Mitarbeiter im relevanten Zeitraum als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung erhalten hat.
o Die Leistungen aus dem VSOP 2016 beruhen auf dem Austauschcharakter des Arbeitsverhältnisses und sind Teil der Vergütung für geleistete Arbeit: Das Vesting ist an entgeltpflichtige Beschäftigungszeiten gekoppelt („kein Lohn ohne Arbeit“) und wird bei unbezahlten Abwesenheiten ausgesetzt.
o Auch wenn der Plan nach seiner Formulierung („keine Gegenleistung für vergangene Arbeit“) anderes vorsieht, ist entscheidend die tatsächliche wirtschaftliche Funktion: Die Zahlung hat Vergütungscharakter und dient zugleich der Bindung und Motivation der Mitarbeitenden.
o Dass die Konzernmuttergesellschaft die Auszahlung teilweise erfüllte, steht der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten nicht entgegen.
Das Urteil verdeutlicht, dass virtuelle Aktienoptionen (VSOP) bei der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind, wenn sie gemäß der vertraglichen Ausgestaltung auch Entgelt für die Arbeitsleistung des begünstigten Mitarbeiters inkludieren und in dem für die Kalkulation der Karenzentschädigung relevanten Bemessungszeitraum während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Arbeitgeber sollten daher ihre Vertrags- und Vergütungsstrukturen sorgfältig prüfen. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote und Beteiligungsprogramme sollten inhaltlich aufeinander abgestimmt sein.
Da das BAG auf den Zeitpunkt der Ausübung und nicht auf das Vesting abstellt, kann die Ausübung von Optionen kurz vor Vertragsende zu erheblichen Nachzahlungen führen. Arbeitgeber sollten deshalb bei der Gestaltung von Trennungs- oder Aufhebungsvereinbarungen prüfen, ob ein Verzicht auf das Wettbewerbsverbot (§ 75a HGB) wirtschaftlich sinnvoller ist. Ebenso wichtig ist es, den Exercise-Zeitpunkt – soweit steuerlich und organisatorisch möglich – zu steuern und klar zu dokumentieren. Die Entscheidung zeigt zudem, dass bloße Formulierungen im VSOP-Plan („keine Gegenleistung für Arbeit“) rechtlich nicht schützen, wenn das Programm faktisch an die Arbeitsleistung anknüpft.
Vertretungsmacht des Verwalters einer Wohnungseigentümerschaft
Das BAG hat in seinem Urteil vom 06.03.2025 (2 AZR 115/24) entschieden, dass der Abschluss und die Kündigung eines Arbeitsvertrages mit einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern von der unbeschränkten Vertretungsmacht des Verwalters nach § 9b Abs. 1 S. 1 Hs.1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) erfasst ist.
Das Urteil stellt klar, dass bei einem Rechtsgeschäft, bei dem der Wohnungseigentümer „seiner“ Gemeinschaft, wie ein Außenstehender gegenübertritt, dieses ein Verkehrs- bzw. Drittgeschäft darstellt, für das es des vom Gesetzgeber bezweckten Verkehrs- bzw. Drittschutzes bedarf. Diese Dispositionsfreiheit kann und muss eine WEG nutzen, um die Rechtsbeziehungen zu Nichtdritten (im Innenverhältnis) zu gestalten. Dies dient dem Interesse der Wohnungseigentümerschaft in ihrer Gesamtheit, „nach außen“ effizient am Rechtsverkehr teilnehmen zu können. So hat der gekündigte Arbeitnehmer nicht mehr die Möglichkeit der Zurückweisung nach § 174 BGB. Soll eine Beschränkung der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis erfolgen, ist diese nur gegenüber Nichtdritten (im Innenverhältnis) wirksam und muss durch einen Beschluss (§ 27 Abs. 2 WEG) oder die Gemeinschaftsordnung geregelt sein.
Kündigungsschutz bei Schwangerschaft: Kein Schutz ohne rechtzeitige Mitteilung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschied in seinem Urteil vom 17.04.2025 (6 SLa 542/24), dass eine Kündigung gegenüber einer schwangeren Mitarbeiterin trotz rechnerischer Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt wirksam sein kann, wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis hatte und die nachträgliche Mitteilung über die Schwangerschaft nicht fristgerecht erfolgte.
o Zwar war die Klägerin rechnerisch nach der BAG-Rechtsprechung (280-Tage-Regel) schwanger, aber die Beklagte hatte davon im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis. Die Mitteilung über die drei positiven Schwangerschaftstests habe die Beklagte nicht hinreichend über die tatsächlich maßgebliche Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt.
o Die Mitteilung der Schwangerschaft erfolgte auch nicht innerhalb der Zweiwochenfrist gem. § 17 Abs. 1 MuSchG - also bis zum 08.08.2023.
o Auch eine unverzügliche Nachholung der Mitteilung wegen unverschuldeter Fristversäumnis (§ 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG) wurde nicht rechtzeitig oder nachvollziehbar begründet.
Bei einer behaupteten Schwangerschaft ist nicht jede Mitteilung relevant – maßgeblich ist, ob eine bestehende und für die konkrete Kündigung relevante Schwangerschaft rechtzeitig und korrekt von der schwangeren Mitarbeiterin angezeigt wird. Wird die Schwangerschaft nach Zugang der Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen angezeigt, kann sich in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht auf das Kündigungsverbot des § 17 MuSchG berufen werden. Der 280-Tage-Ansatz zur Berechnung des Kündigungsschutzes gilt fort; er schützt jedoch nur, wenn die betroffene Schwangerschaft dem Arbeitgeber innerhalb der gesetzlichen Frist mitgeteilt wird.
Anrechnung von Vorbeschäftigungen auf die Wartezeit nach § 1 KSchG: Kein Kündigungsschutz ohne sachlichen Zusammenhang
Das LAG Thüringen entschied mit Urteil vom 04.06.2025 (4 Sa 281/22), dass bei der Wartezeit für die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG nur Vorbeschäftigungen zu berücksichtigen sind, die Arbeitsverhältnisse sind und mit dem späteren Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.
Das Urteil des LAG Thüringen sensibilisiert Arbeitgeber (einmal mehr), eine ordnungsgemäße Vertretung durch die die Kündigung aussprechenden Personen und deren hinreichende Dokumentation (insbesondere durch eine ordnungsgemäße Vollmacht) sicherzustellen.
Das LAG Thüringen bestätigt zudem, dass nur vorherige Arbeitsverhältnisse zwischen den Parteien mit einem hinreichenden zeitlichen und sachbezogenen Zusammenhang mit dem gekündigten Arbeitsverhältnis für die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG berücksichtigt werden können.
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