Monthly Dose Arbeitsrecht 08/2025

Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der achten Ausgabe 2025 die Entscheidungen:

Vergütungsanpassung von Betriebsratsmitgliedern

Das BAG hat mit Urteil vom 20.03.2025 (7 AZR 46/24) entschieden, dass ein Arbeitgeber, der eine zuvor auf § 37 Abs. 4 BetrVG bezogene und gewährte Vergütungserhöhung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds korrigiert, darlegen und beweisen muss, dass diese Erhöhung objektiv fehlerhaft war und nicht den Vorgaben des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG entsprach. Zudem hat das BAG klargestellt, dass die vom freigestellten Betriebsratsmitglied für die Vergütungsanpassung herangezogenen Rechtsgrundlagen des § 37 Abs. 4 BetrVG und des § 78 S. 2 BetrVG jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen und damit verbundene, voneinander unabhängige Streitgegenstände darstellen und daher in einem entsprechenden Vergütungsrechtsstreit jeweils eigenständig herangezogen werden.

Sachverhalt
  • Der Kläger ist seit 1984 bei der beklagten Automobilherstellerin beschäftigt und seit 2002 freigestelltes Betriebsratsmitglied. Er weist eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker und einen Abschluss als Industriemeister auf und war bis zu seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied als Anlagenführer tätig.
  • Bis zu seiner Freistellung erhielt der Kläger eine Vergütung nach Entgeltstufe 13 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Rahmentarifvertrags (RTVE). Die Vergütung wurde ab 2003 sukzessive erhöht, mit der Begründung, sie an die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 37 Abs. 4 BetrVG anzupassen.
  • Im Oktober 2015 unterbreitete der damalige Fertigungsleiter für den Bereich Karosseriebau, Lackiererei und Montagen der G-Fertigung dem Kläger das Angebot, im Bereich der Wagenfertigstellung als Fertigungskoordinator tätig zu werden. Der Kläger lehnte das Angebot ab, da er kurz zuvor zum Ausschussvorsitzenden gewählt worden war. Die Beklagte erhöhte in der Folgezeit die Vergütung des Klägers unter Berücksichtigung der Grundsätze der sog. „hypothetischen beruflichen Entwicklung“ auf die Entgeltstufe 20 (die der Vergütung eines Fertigungskoordinators entspricht).
  • Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.01.2023 zur Untreuestrafbarkeit bei überhöhten Betriebsratsvergütungen (6 StR 133/22) überprüfte die Beklagte die Einstufung des Klägers und zahlte ihm ab März 2023 eine Vergütung in Höhe der Entgeltstufe 18. Für den Zeitraum Oktober 2022 bis Januar 2023 forderte die Beklagte 2.592,96 EUR brutto zurück, die der Kläger unter Vorbehalt zahlte.
  • Der Kläger klagte auf Zahlung der Differenz zur Entgeltstufe 20, auf Rückzahlung des mit Vorbehalt gezahlten Betrags und auf Feststellung, dass er seit Januar 2015 nach Entgeltstufe 20 zu vergüten sei. Er begründete dies sowohl mit der Anpassung nach § 37 Abs. 4 BetrVG als auch mit seiner hypothetischen Karriereentwicklung zum Fertigungskoordinator.
Entscheidungsgründe
  • Zwei unterschiedliche Streitgegenstände mit eigenständigen Anspruchsgrundlagen: Ein Anspruch des freigestellten Betriebsratsmitglieds auf eine Erhöhung seiner Vergütung kann auf den folgenden Anspruchsgrundlagen beruhen:

o § 37 Abs. 4 BetrVG: Mindestentgeltgarantie basierend auf der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer.

o § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB: Anspruch auf eine hypothetische Karriereentwicklung (fiktiver Beförderungsanspruch).

Das BAG stellt hierzu klar, dass der klagende Mitarbeiter als Betriebsratsmitglied die beiden Anspruchsgrundlagen im Rechtsstreit unter Berücksichtigung der jeweils zugrunde liegenden Lebenssachverhalte in eine Rangfolge zu setzen hat.

  • Anspruchsgrundlage § 37 Abs. 4 BetrVG – Darlegungs- und Beweislastverteilung: Stützt das Betriebsratsmitglied den Vergütungsanspruch auf § 37 Abs. 4 BetrVG, hat es im Ausgangspunkt darzulegen, dass die dafür maßgeblichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 BetrVG vorliegen (= v.a. hinsichtlich der vergleichbaren Arbeitnehmer und deren betriebsübliche Entwicklung):

o Ist dagegen Streitgegenstand die Korrektur einer bereits in der Vergangenheit gewährten Vergütungserhöhung durch den Arbeitgeber, soll dieser nach der Auffassung des BAG die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Vergütungserhöhung tragen, sofern diese Vergütungserhöhung in der Vergangenheit für das Betriebsratsmitglied als Anpassung nach § 37 Abs. 4 BetrVG erschien.

o Das Betriebsratsmitglied soll grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass der Arbeitgeber seine Pflicht zur korrekten Anpassung erfüllt. Zwingend ist diese auf einen Vertrauensschutz des Betriebsratsmitglieds abzielende Begründung nicht; inhaltlich sachgerechter erscheint hierzu die Begründung, dass die Partei die Darlegungs- und Beweislast trifft, die sich zur Begründung ihrer Rechtsposition auf eigenes gesetzeswidriges Verhalten beruft.

o Für den konkreten Vortrag des Arbeitgebers verlangt das BAG, dass dieser die von ihm herangezogenen Vergleichspersonen namentlich zu benennen hat, um dem klagenden Betriebsratsmitglied eine Überprüfung zu ermöglichen. Datenschutzrechtliche Bedenken stünden dieser Darlegung nicht entgegen, da sich der Arbeitgeber die Offenlegung der maßgeblichen personenbezogenen Daten der vergleichbaren Mitarbeiter auf Art. 6 DSGVO stützen könne. Falls keine vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb existieren, könne auf Arbeitnehmer anderer Betriebe des Arbeitgeber-Unternehmens zurückgegriffen werden, wenn dort einheitliche Vergütungs- und Entwicklungsregeln gelten.

  • Anspruchsgrundlage § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB – Darlegungs- und Beweislastverteilung: Bei Heranziehung des § 78 S. 2 BetrVG als Anspruchsgrundlage hat das Betriebsratsmitglied darzulegen und zu beweisen, dass es ohne die Betriebsratstätigkeit mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das erhöhte Arbeitsentgelt geben würde.
  • Verhältnis von § 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG: Ein Anspruch aus einer hypothetischen Karriere (§ 78 S. 2 BetrVG) kann über die Mindestvergütung nach § 37 Abs. 4 BetrVG hinausgehen. § 37 Abs. 4 BetrVG regelt nur das Mindestentgelt, nicht die Obergrenze. Das BAG hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und sieht keinen Anlass, wegen der Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) zur Strafbarkeit der Untreue der gesetzlichen Vertreter des Arbeitgebers bei einer nicht mit §§ 37 Abs. 4, 78 S. 2 BetrVG zu vereinbarenden und daher gesetzeswidrigen Vergütung den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe anzurufen.
  • Entscheidungsergebnis: In der Sache hob das BAG das Urteil des LAG teilweise auf, da das LAG die Darlegungs- und Beweislast für den auf § 37 Abs. 4 BetrVG gestützten Anspruch beim Kläger verortet hatte, und wies die Sache an das LAG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.
Folgen für die Praxis

Das Urteil stärkt den tatsächlichen Entgeltschutz von Betriebsratsmitgliedern zu tatsächlich im Kontext mit § 37 Abs. 4 BetrVG durchgeführten Entgelterhöhungen, indem es dem Betriebsratsmitglied einen umfassenden Vertrauensschutz zuschreibt und dem Arbeitgeber die umfassende Beweislast für die Fehlerhaftigkeit einer zurückgenommenen Vergütungserhöhung auferlegt.

Arbeitgeber sollten Vergütungsanpassungen für freigestellte Betriebsratsmitglieder künftig besonders sorgfältig dokumentieren und transparent begründen. Wird eine Anpassung ausdrücklich auf § 37 Abs. 4 BetrVG gestützt, kann sie später nur korrigiert werden, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sie objektiv fehlerhaft war. Jede Anpassungsentscheidung sollte daher schriftlich festgehalten und auf konkrete Vergleichspersonen gestützt werden.

Die herangezogenen Vergleichspersonen sind im Streitfall namentlich zu benennen; datenschutzrechtliche Einwände stehen dem nicht entgegen. Arbeitgeber sollten ihre internen Datenschutzvorgaben entsprechend überprüfen. Es empfiehlt sich, auf mögliche Auskunftsansprüche von Betriebsratsmitgliedern vorbereitet zu sein und die Entwicklung der relevanten Vergleichsgruppen laufend zu dokumentieren.

Berücksichtigung virtueller Aktienoptionen bei der Karenzentschädigung

Das BAG hat mit Urteil vom 27.03.2025 (8 AZR 63/24) entschieden, dass Leistungen aus virtuellen Aktienoptionen (VSOP) bei der Berechnung der Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2, § 74b Abs. 2 HGB zu berücksichtigen sind, soweit diese als Entgelt für die Arbeitsleistung zu qualifizieren sind und während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurden. Optionen, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden, bleiben außer Betracht.

Sachverhalt
  • Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin seit Oktober 2019 als „Executive Director of Finance“ mit einem Jahresgehalt von 100.000 EUR brutto tätig.
  • Die Parteien vereinbarten in § 11 des Arbeitsvertrages ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für 12 Monate. Die Karenzentschädigung sollte der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen entsprechen (§ 74 Abs. 2 HGB).
  • Der Kläger nahm während des Arbeitsverhältnisses am „Virtual Option Plan 2016“ der Beklagten (VSOP 2016) teil. Der Plan verleiht einen auf den Eintritt eines sog. Exercise Events (insbesondere Börsengang oder Gesellschafterwechsel) bezogenen Zahlungsanspruch nach Absolvierung eines vierjährigen Anwartschaftszeitraums (Vesting Period), wobei die Anwartschaft ratierlich über die Vesting Period und in Zeiträumen mit Entgeltansprüchen des begünstigten Mitarbeiters erdient wurde.
  • Im September 2021 trat ein Exercise Event ein und der Kläger übte im Oktober 2021, also noch während des Arbeitsverhältnisses, Optionsrechte aus dem VSOP 2016 aus, und erhielt hierzu von der Beklagten eine Zahlung von 161.394 EUR brutto.
  • Das Arbeitsverhältnis endete auf der Grundlage eines Aufhebungsvertrags vom 18.01.2022 zum 30.06.2022. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wurde auf sechs Monate (bis zum 31.12.2022) verkürzt.
  • Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses übte der Kläger im Oktober 2022 weitere Optionsrechte aus dem VSOP 2016 aus und erhielt eine weitere Zahlung in Höhe von 17.706,32 EUR brutto.
  • Die Beklagte gewährte dem Kläger die Karenzentschädigung in Höhe von 4.166,66 EUR, berechnet allein nach dem Fixgehalt. Der Kläger verlangte eine höhere Karenzentschädigung unter Einbeziehung beider Zahlungen aus dem VSOP 2016. Die Beklagte verweigerte dies mit der Begründung, es handele sich nicht um arbeitsvertragliche Leistungen.
Entscheidungsgründe
  • Karenzentschädigung – Anspruch dem Grunde nach: Das BAG bestätigte die Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots und des Anspruchs auf Karenzentschädigung (§ 110 GewO, §§ 74 ff. HGB). Der Kläger hatte das Wettbewerbsverbot während der Karenzzeit eingehalten.
  • Höhe der Karenzentschädigung – Einbeziehung der während des Arbeitsverhältnisses erhaltenen VSOP 2016 -Leistung: Für die Höhe der Karenzentschädigung ist die im Oktober 2021 aus der Ausübung der virtuellen Aktienoptionen aus dem VSOP 2016 bezogene Geldzahlung als „vertragsmäßige Leistung“ i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB zu berücksichtigen.

o Vertragsgemäße Leistungen i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB inkludieren alle Leistungen, die der Mitarbeiter im relevanten Zeitraum als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung erhalten hat.

o Die Leistungen aus dem VSOP 2016 beruhen auf dem Austauschcharakter des Arbeitsverhältnisses und sind Teil der Vergütung für geleistete Arbeit: Das Vesting ist an entgeltpflichtige Beschäftigungszeiten gekoppelt („kein Lohn ohne Arbeit“) und wird bei unbezahlten Abwesenheiten ausgesetzt.

o Auch wenn der Plan nach seiner Formulierung („keine Gegenleistung für vergangene Arbeit“) anderes vorsieht, ist entscheidend die tatsächliche wirtschaftliche Funktion: Die Zahlung hat Vergütungscharakter und dient zugleich der Bindung und Motivation der Mitarbeitenden.

o Dass die Konzernmuttergesellschaft die Auszahlung teilweise erfüllte, steht der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten nicht entgegen.

  • Durchschnittsberechnung: Wechselnde Bezüge sind nach § 74b Abs. 2 HGB nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre oder – wenn die maßgebliche Vertragsbestimmung kürzer bestand – nach deren Dauer zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall bestand das Arbeitsverhältnis 33 Monate, sodass die VSOP 2016-Leistung anteilig zu berücksichtigen war: Der errechnete Jahreswert betrug 58.689,01 EUR, war zum Festgehalt hinzuzurechnen und Grundlage für die hälftige Karenzentschädigung.
  • Keine Berücksichtigung der in 2022 bezogenen VSOP 2016-Leistung: Die im Oktober 2022 – also nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – ausgeübten Optionen sind nicht einzubeziehen. Maßgeblich sind nur Leistungen, die tatsächlich während des laufenden Arbeitsverhältnisses bezogen wurden. Bloß gevestete, aber nicht ausgeübte Rechte prägen den Lebensstandard nicht und können in der Höhe nicht verlässlich bestimmt werden. Ihr Wert hängt von künftigen, unsicheren Ereignissen (z. B. Börsenkurs, Exercise Event) ab. Erst mit Ausübung realisiert sich der Entgeltcharakter.
  • Zweck der Karenzentschädigung: Die Karenzentschädigung soll den Lebensstandard sichern, den der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit erreicht hat. Dazu gehören alle im Arbeitsverhältnis tatsächlich bezogenen Entgeltbestandteile, nicht jedoch hypothetische oder nachträgliche Zuwächse.
  • Ergebnis: Die VSOP 2016-Zahlung aus Oktober 2021 ist zu berücksichtigen, während die Zahlung aus Oktober 2022 nicht in die Berechnung einfloss. Dem Kläger wurde ein Anspruch von zusätzlich 9.781,52 EUR brutto zugesprochen.
Folgen für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht, dass virtuelle Aktienoptionen (VSOP) bei der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind, wenn sie gemäß der vertraglichen Ausgestaltung auch Entgelt für die Arbeitsleistung des begünstigten Mitarbeiters inkludieren und in dem für die Kalkulation der Karenzentschädigung relevanten Bemessungszeitraum während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Arbeitgeber sollten daher ihre Vertrags- und Vergütungsstrukturen sorgfältig prüfen. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote und Beteiligungsprogramme sollten inhaltlich aufeinander abgestimmt sein.

Da das BAG auf den Zeitpunkt der Ausübung und nicht auf das Vesting abstellt, kann die Ausübung von Optionen kurz vor Vertragsende zu erheblichen Nachzahlungen führen. Arbeitgeber sollten deshalb bei der Gestaltung von Trennungs- oder Aufhebungsvereinbarungen prüfen, ob ein Verzicht auf das Wettbewerbsverbot (§ 75a HGB) wirtschaftlich sinnvoller ist. Ebenso wichtig ist es, den Exercise-Zeitpunkt – soweit steuerlich und organisatorisch möglich – zu steuern und klar zu dokumentieren. Die Entscheidung zeigt zudem, dass bloße Formulierungen im VSOP-Plan („keine Gegenleistung für Arbeit“) rechtlich nicht schützen, wenn das Programm faktisch an die Arbeitsleistung anknüpft.

Vertretungsmacht des Verwalters einer Wohnungseigentümerschaft

Das BAG hat in seinem Urteil vom 06.03.2025 (2 AZR 115/24) entschieden, dass der Abschluss und die Kündigung eines Arbeitsvertrages mit einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern von der unbeschränkten Vertretungsmacht des Verwalters nach § 9b Abs. 1 S. 1 Hs.1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) erfasst ist.

Sachverhalt
  • Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung wirksam beendet hat.
  • Die Beklagte ist eine Gemeinschaft von Wohnungseigentümern. Der Kläger gehört dieser als Wohnungseigentümer an und war zudem seit Dezember 2021 als Hausmeister bei ihr angestellt.
  • Die Verwalterin der Beklagten kündigte das Arbeitsverhältnis erstmals am 27.12.2022 zum 31.01.2023. In einem hierzu geführten Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien am 10.02.2023 einen Vergleich über eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
  • Mit Schreiben vom 26.04.2023 kündigte die Verwalterin das Arbeitsverhältnis zum 28.05.2023. Der Kläger wies die Kündigung u.a. mit der Begründung zurück, sie sei mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde unwirksam. Der Kläger hält einen vorangegangenen Beschluss der WEG für notwendig, der die Verwalterin zu der Kündigung ermächtigt. Die Kündigung sei darüber hinaus treuwidrig i.S.v. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und verstoße gegen Art. 30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC).
  • Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung zum 28.05.2023 beendet wurde. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein wies die Klage ab. Das Landarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hielt die Kündigung für wirksam und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2023 aufgelöst wurde und nicht zum 28.05.2023. Der Kläger legte Revision beim BAG ein.
Entscheidungsgründe
  • Das BAG erkannte, dass der Verwalter einer Wohnungseigentümerschaft grundsätzlich gegenüber jedermann eine unbeschränkte Vertretungsmacht (§ 9b Abs. 1 S. 1 Hs.1 WEG) besitzt. Dies gelte für sowohl einseitige als auch zweiseitige Rechtsgeschäfte. Eine Einschränkung bestehe nach dem Gesetzeswortlaut nur für den Abschluss eines Grundstückskaufs oder eines Darlehensvertrages (§ 9b Abs. 1 S. 2 WEG), die nur aufgrund eines Beschlusses der Wohnungseigentümer vorgenommen werden dürfen.
  • Eine Beschränkung der Vertretungsmacht könne gegenüber einem „Nichtdritten“ durch entsprechende Regelung in der Gemeinschaftsordnung oder durch einen Beschluss der WEG wirksam sein (§ 9b Abs. 1 S. 3 WEG), an dem es hier aber fehle. Gegenüber „Dritten“ ist eine solche Beschränkung hingegen gesetzlich unwirksam (§ 9b Abs. 1 S. 3 WEG). Der Kläger trat hier der Beklagten nicht in seiner Eigenschaft als Wohnungseigentümer, sondern als Arbeitnehmer entgegen und war daher als „Dritter“ im Sinne der Vorschrift anzusehen.
  • Das BAG stellte auch fest, dass kein Missbrauchsfall der Vertretungsmacht vorliegt. Die Kündigung wirke für den Kläger zwar nachteilig; eine offensichtliche Pflichtwidrigkeit oder Kollusion sei jedoch nicht erkennbar. Maßgeblich ist der objektive Erkenntnishorizont der Verwalterin, die davon ausgehen durfte, im Namen der Gemeinschaft wirksam handeln zu dürfen. Eine Evidenz des Missbrauchs verneinte das BAG.
  • Darüber hinaus sei die Kündigung – auch mit Blick auf Art. 30 GRC – nicht nach § 242 BGB unwirksam. Art. 30 GRC enthalte keinen weitergehenden Prüfungsmaßstab, sondern werde durch das nationale Kündigungsschutzrecht umgesetzt. Folglich sei das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.05.2023 beendet worden. Das BAG hat revisionsrechtlich nicht beanstandet, dass das LAG den Beendigungszeitpunkt – abweichend vom im Schreiben genannten 28.05.2023 – auf den 31.05.2023 festgelegt hat.
  • Ferner stellte das BAG klar, dass eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB ausschied, weil die Verwalterin kraft Gesetzes mit unbeschränkter Vertretungsmacht handelte.
Folgen für die Praxis

Das Urteil stellt klar, dass bei einem Rechtsgeschäft, bei dem der Wohnungseigentümer „seiner“ Gemeinschaft, wie ein Außenstehender gegenübertritt, dieses ein Verkehrs- bzw. Drittgeschäft darstellt, für das es des vom Gesetzgeber bezweckten Verkehrs- bzw. Drittschutzes bedarf. Diese Dispositionsfreiheit kann und muss eine WEG nutzen, um die Rechtsbeziehungen zu Nichtdritten (im Innenverhältnis) zu gestalten. Dies dient dem Interesse der Wohnungseigentümerschaft in ihrer Gesamtheit, „nach außen“ effizient am Rechtsverkehr teilnehmen zu können. So hat der gekündigte Arbeitnehmer nicht mehr die Möglichkeit der Zurückweisung nach § 174 BGB. Soll eine Beschränkung der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis erfolgen, ist diese nur gegenüber Nichtdritten (im Innenverhältnis) wirksam und muss durch einen Beschluss (§ 27 Abs. 2 WEG) oder die Gemeinschaftsordnung geregelt sein.

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft: Kein Schutz ohne rechtzeitige Mitteilung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschied in seinem Urteil vom 17.04.2025 (6 SLa 542/24), dass eine Kündigung gegenüber einer schwangeren Mitarbeiterin trotz rechnerischer Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt wirksam sein kann, wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis hatte und die nachträgliche Mitteilung über die Schwangerschaft nicht fristgerecht erfolgte.

Sachverhalt
  • Die Klägerin war seit dem 01.11.2019 bei der Beklagten, einer Kleintierpraxis mit weniger als zehn Arbeitnehmern, tätig.
  • Am 17.07.2023 schickte die Klägerin der Beklagten per WhatsApp ein Foto mit drei positiven Schwangerschaftstests. Am 27.07.2023 erhielt sie eine ordentliche Kündigung.
  • Am 05.09.2023 übermittelte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung, die einen voraussichtlichen Entbindungstermin (vET) am 05.05.2024 ausführte, woraus sich nach der vom BAG in seiner Rechtsprechung zum Schwangerschaft-Kündigungsschutz bestimmten 280-Tage-Rückrechnungs-Methode ein rechnerischer Schwangerschaftsbeginn am 30.07.2023 – also nach Zugang der Kündigung – ergab.
  • Am 10.10.2023 forderte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte auf, die Kündigung mit Blick auf die Schwangerschaft zurückzunehmen.
  • Mit der am 15.12.2023 erhobenen Kündigungsschutzklage legte die Klägerin ein weiteres Attest vom 19.10.2023 mit einem vET 01.05.2024 vor, wonach sich ein rechnerischer Schwangerschaftsbeginn am 22.07.2023 – also vor Zugang der Kündigung – ergab.
  • Ein drittes Attest eines anderen Arztes vom 26.10.2023 nannte den vET 27.04.2024 (rechnerischer Beginn ebenfalls 22.07.2023; biologisch/empirisch – laut Gestationskalkulator – Empfängnis am 04.08.2023). Dieses Attest wurde der Beklagten erst am 21.03.2024 übermittelt.
  • Als Begründung für die späte Erhebung der Klage führte die Klägerin an, dass sie aufgrund einer schweren Depression an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert gewesen sei. In dem Zeitraum, für den die Klägerin die schwere Depression ausführte, mandatierte die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigte und veröffentlichte wiederholt auf ihren Profilen in sozialen Netzwerken Fotos von ihr auf von ihr besuchten Partys. Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragte die Klägerin erst in der Berufungsinstanz am 15.11.2024.
Entscheidungsgründe
  • Das Gericht entschied, dass die Kündigung nach § 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) als rechtswirksam gilt, da die Klagefrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung (§ 4 KSchG) nicht eingehalten wurde.
  • Die Kündigung sei wegen folgender Gründe auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG), der das Kündigungsverbot einer schwangeren Mitarbeiterin regelt, unwirksam:

o Zwar war die Klägerin rechnerisch nach der BAG-Rechtsprechung (280-Tage-Regel) schwanger, aber die Beklagte hatte davon im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis. Die Mitteilung über die drei positiven Schwangerschaftstests habe die Beklagte nicht hinreichend über die tatsächlich maßgebliche Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt.

o Die Mitteilung der Schwangerschaft erfolgte auch nicht innerhalb der Zweiwochenfrist gem. § 17 Abs. 1 MuSchG - also bis zum 08.08.2023.

o Auch eine unverzügliche Nachholung der Mitteilung wegen unverschuldeter Fristversäumnis (§ 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG) wurde nicht rechtzeitig oder nachvollziehbar begründet.

  • Darüber hinaus sei der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage (§ 5 KSchG) nicht rechtzeitig erfolgt. Daran vermag auch die vorgetragene Depression der Klägerin nichts zu ändern, da sie jedenfalls im Oktober bereits eine Prozessbevollmächtigte mandatiert hatte, deren Wissen der Klägerin nach § 85 ZPO zuzurechnen ist.
  • Die Kündigung ist auch aus europarechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, da im Europarecht der biologische Schwangerschaftsbegriff zu Grunde gelegt wird und nicht der vom BAG verwendete rechnerische Schwangerschaftsbegriff. Eine biologische Schwangerschaft bestand nach der Beweisaufnahme zum Zeitpunkt der Kündigung nicht. Das LAG verweist in diesem Zusammenhang auf die EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 27.06.2024, C-284/23), sieht diese jedoch als nicht einschlägig an, weil hier keine erst nach Fristablauf erkannte Schwangerschaft, sondern ein biologisch nicht bestehender Zustand am Kündigungstag vorlag.
Folgen für die Praxis

Bei einer behaupteten Schwangerschaft ist nicht jede Mitteilung relevant – maßgeblich ist, ob eine bestehende und für die konkrete Kündigung relevante Schwangerschaft rechtzeitig und korrekt von der schwangeren Mitarbeiterin angezeigt wird. Wird die Schwangerschaft nach Zugang der Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen angezeigt, kann sich in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht auf das Kündigungsverbot des § 17 MuSchG berufen werden. Der 280-Tage-Ansatz zur Berechnung des Kündigungsschutzes gilt fort; er schützt jedoch nur, wenn die betroffene Schwangerschaft dem Arbeitgeber innerhalb der gesetzlichen Frist mitgeteilt wird.

Anrechnung von Vorbeschäftigungen auf die Wartezeit nach § 1 KSchG: Kein Kündigungsschutz ohne sachlichen Zusammenhang

Das LAG Thüringen entschied mit Urteil vom 04.06.2025 (4 Sa 281/22), dass bei der Wartezeit für die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG nur Vorbeschäftigungen zu berücksichtigen sind, die Arbeitsverhältnisse sind und mit dem späteren Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.

Sachverhalt
  • Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei Kündigungen eines Arbeitsverhältnisses.
  • Die Klägerin bewarb sich Ende 2020 bei der beklagten Arbeitgeberin, die ein Orchester betreibt, als Musikdramaturgin. Die Parteien schlossen für den Zeitraum vom 16.02.2021 bis zum 26.02.2021 einen Beratungs-/Dienstleistungsvertrag über die Erbringung von musikpädagogischen Dienstleistungen zu einem wöchentlichen Beratungshonorar von 750 EUR brutto (auf Rechnungsbasis).
  • Am 17.05.2021 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag über die Tätigkeit als Musikdramaturgin.
  • Am 25.10.2021 erfolgte eine erste Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die geschäftsführende Intendantin. Gemäß der Satzung der Beklagten wird diese durch den Vorstand vertreten. Dieser hatte der geschäftsführenden Intendantin für die Erklärung der Kündigung keine gesonderte Vollmacht erteilt. Die Beklagte erklärte am 11.11.2021 vorsorglich eine weitere Kündigung auf der Grundlage einer von ihrem Vorstand ihren Prozessbevollmächtigten erteilten Vollmacht.
  • Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass keine der beiden Kündigungen das Arbeitsverhältnis wirksam beendet hat.
Entscheidungsgründe
  • Unwirksamkeit der Kündigung vom 25.10.2021: Die erste Kündigung konnte das Arbeitsverhältnis nicht beenden, da sie von der geschäftsführenden Intendantin unterzeichnet wurde, deren Berechtigung zum Ausspruch einer Kündigung vom Beklagten nicht ausreichend dargelegt werden konnte. Laut Satzung wird der Beklagte durch den Vorstand vertreten, wobei die Vorstandsvorsitzende und ihr Stellvertreter allein vertretungsberechtigt sind. Eine Geschäftsordnung, die diese Befugnis überträgt, oder eine sonstige Vollmacht wurden nicht vorgelegt. Auch eine nachträgliche Genehmigung (§ 180 S. 2 BGB) oder eine Duldungsvollmacht lehnte das Gericht ab.
  • Wirksamkeit der Kündigung vom 11.11.2021: Die zweite Kündigung hat das Arbeitsverhältnis wirksam beendet. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten war durch die allein vertretungsberechtigte Vorstandsvorsitzende ordnungsgemäß bevollmächtigt.
  • Kein allgemeiner Kündigungsschutz nach dem KSchG: Der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG findet keine Anwendung, da die Kündigung in der sechsmonatigen Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) ausgesprochen wurde. Das Arbeitsverhältnis begann (erst) am 17.05.2021. Die Kündigung ging am 13.11.2021 zu und damit innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit. Die Wartezeit hätte am 16.11.2021 geendet; da die Kündigung vor diesem Datum zuging, war § 1 KSchG nicht anwendbar.
  • Erstes Vertragsverhältnis (ab 16.02.2021) war kein Arbeitsverhältnis: Die Klägerin hat nicht ausreichend dargelegt, dass sie im ersten Vertragsverhältnis weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet hat. Aspekte wie die Vergütung auf Rechnungsbasis sprechen für ein freies Dienstverhältnis. Auch die Vertragsgestaltung (Honorar mit Umsatzsteuer, keine persönliche Leistungspflicht, kurze Laufzeit und eigenständige Aufgabenstellung) sprach gegen ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin trug die Darlegungs- und Beweislast (§ 611a Abs. 1 BGB). Ein Scheinvertrag lag nach Auffassung des LAG nicht vor, weil die tatsächliche Durchführung dem Vertragswortlaut entsprach.
  • Keine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten: Selbst wenn das erste Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen wäre, fände keine Zusammenrechnung der beiden Vertragsverhältnisse statt. Der sachliche Zusammenhang zwischen den beiden Vertragsverhältnissen war unterbrochen, da der Beklagte sich zwischenzeitlich für einen anderen Bewerber für die Stelle der Klägerin entschieden hatte. Das LAG verweist insoweit auf die Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 20.02.2014, 2 AZR 859/11), wonach eine Zusammenrechnung nur bei nahtloser Fortsetzung oder engem sachlichen Zusammenhang in Betracht kommt. Hier bestand aufgrund der Bewerberentscheidung eine deutliche Zäsur, die den Zusammenhang unterbrach.
Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Thüringen sensibilisiert Arbeitgeber (einmal mehr), eine ordnungsgemäße Vertretung durch die die Kündigung aussprechenden Personen und deren hinreichende Dokumentation (insbesondere durch eine ordnungsgemäße Vollmacht) sicherzustellen.

Das LAG Thüringen bestätigt zudem, dass nur vorherige Arbeitsverhältnisse zwischen den Parteien mit einem hinreichenden zeitlichen und sachbezogenen Zusammenhang mit dem gekündigten Arbeitsverhältnis für die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG berücksichtigt werden können.

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