BGH schützt Kernfunktion der D&O-Versicherung: Versicherer haften für Ansprüche gegen Geschäftsführer wegen Masseschmälerung

BGH schützt Kernfunktion der D&O-Versicherung: Versicherer haften für Ansprüche gegen Geschäftsführer wegen Masseschmälerung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 19. November 2025 (Az. IV ZR 66/25) eine für die Praxis der D&O-Versicherung (Directors & Officers) zentrale Entscheidung getroffen. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Versicherungsschutz wegen „wissentlicher Pflichtverletzung“ ausgeschlossen ist. Der Senat knüpft bei dieser Gelegenheit an seine frühere Rechtsprechung an und befindet, dass Ausschlussklauseln in D&O-Bedingungen eng auszulegen sind und nicht weiter gefasst werden dürfen, als es ihr Wortlaut und wirtschaftlicher Zweck erfordern. Mit seinen Ausführungen sorgt der BGH für eine notwendige Rechtssicherheit und stellt insbesondere klar, dass die (bloße) verspätete Stellung eines Insolvenzantrags nicht automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes führt.

Das jetzige Urteil des Senats steht am Ende einer langjährigen Entwicklung. So erregte eine Entscheidung des OLG Düsseldorfs im Jahr 2018 erhebliche Aufmerksamkeit, mit welcher das Gericht sog. Masseschmälerungsansprüche – also Ansprüche gegen Geschäftsleiter für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife – als nicht vom Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung umfasst ansah, da es sich bei diesen Ansprüchen nicht um Schadenersatzansprüche im Sinne von Ziffer 1.1 ULLA (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten) handele. Der BGH trat dem bereits im Jahr 2020 entgegen und entschied den Fall zugunsten des klagenden Insolvenzverwalters.

Ungeachtet der damaligen Entscheidung des BGH befand zunächst das OLG Köln im November 2021 und in jüngster Zeit das OLG Frankfurt im Januar und März diesen Jahres jeweils zugunsten von D&O-Versicherern, die sich gegenüber Insolvenzverwaltern auf Leistungsfreiheit beriefen. Die Versicherer argumentierten jeweils, die Geschäftsführer hätten wissentlich gegen zentrale Pflichten des streitgegenständlichen D&O-Versicherungsvertrages verstoßen, insbesondere gegen das insolvenzrechtliche Zahlungsverbot sowie gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Antragstellung, sodass im Ergebnis die von den Insolvenzverwaltern geltend gemachten Ansprüche nach Maßgabe der Ziffer 6 ULLA vom Versicherungsschutz ausgeschlossen wären.

Das OLG stellte sich in diesen Fällen an die Seite der Versicherer und befand, von einer wissentlichen Pflichtverletzung im Sinne des gem. Ziffer 6 ULLA sei insoweit auszugehen, wenn eine Pflicht in Kenntnis ihrer Existenz und mit dem Bewusstsein, sie zu verletzen, missachtet werde. Das Gericht ordnet dabei die Pflicht zur Krisenüberwachung, zur Prüfung einer etwaigen Insolvenzreife und zur Antragstellung als Elementarwissen der Geschäftsleitung ein. Es befand, wer diese Pflichten ignoriere, verstoße gegen das Fundament unternehmerischer Verantwortung. Organmitgliedern, welche „blind in die Krise segeln“, sei daher deckungsrechtlich auch eine Verletzung der Kardinalpflichten aus dem Versicherungsvertrag vorzuwerfen.

Zwar trage der Versicherer im Grundsatz die Darlegungs- und Beweislast für diese wissentliche Pflichtverletzung; allerdings sei bei einer objektiven Verletzung sogenannter „Kardinalpflichten“ des Versicherungsvertrages der Beweis regelmäßig geführt – und nach Ansicht des OLG Frankfurt handele es sich bei der Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung um eine solche Kardinalpflicht unter einer D&O-Versicherungspolice.

Der BGH widerspricht dieser Sichtweise nun ausdrücklich. Der Senat stellt zunächst fest, dass der versicherungsrechtliche Risikoausschluss eng auszulegen sei. Er greife nur, wenn die Pflichtverletzung, die den geltend gemachten Anspruch auslöst, wissentlich begangen wurde. Maßgeblich sei die positive Kenntnis des Organmitglieds von der konkreten Pflicht und deren Verletzung. Das OLG Frankfurt habe insoweit lediglich festgestellt, „dass sich der Geschäftsführer der Zahlungsunfähigkeit zumindest bewusst verschlossen habe“. Ein (lediglich) bedingter Vorsatz oder ein bewusstes Verschließen vor der Kenntnis reichen nach Ansicht des BGH jedoch nicht aus, um einen Ausschluss vom Versicherungsschutz zu rechtfertigen.

Der Senat bemängelt außerdem, dass OLG Frankfurt habe die vom Insolvenzverwalter vorgetragenen Zahlungen nach dem unterstellten Eintritt der Insolvenzreife nicht geprüft, sodass nicht feststehe, dass die geleisteten einzelnen Zahlungen verboten waren und der Geschäftsführer davon positive Kenntnis hatte. Die (bloße) Annahme, dass die Verletzung der Insolvenzantragspflicht automatisch auf die Wissentlichkeit der Zahlungsverstöße schließen lasse, sei jedenfalls nicht ausreichend. Während die Insolvenzantragspflicht zum beruflichen Elementarwissen gehöre, dürfte die Bewertung eines entsprechenden Zahlungsverbotes, das stets einer Einzelfallprüfung bedarf, anders zu bewerten sein. Mangels entsprechender Feststellungen in dem Urteil des OLG Frankfurt war der Fall daher zurückzuverweisen. 

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH hat erhebliche praktische Auswirkungen: sie vermeidet eine systematische Deckungslücke, die nicht nur Geschäftsleiter, sondern auch die Gläubigergesamtheit benachteiligt hätte. Für Organmitglieder ist der D&O-Schutz nicht mehr durch pauschale Argumentationen wie die „Kardinalpflicht“-Dogmatik gefährdet.  Entfiele der Versicherungsschutz, dürften Ansprüche gegen Geschäftsführer oft ins Leere laufen, da deren persönliche Leistungsfähigkeit oft nicht ausreicht, um die Insolvenzmasse zu kompensieren. Die D&O-Deckung dient damit nicht nur dem Schutz des Organmitglieds, sondern mittelbar auch der Sicherung der Insolvenzmasse und damit der Gläubigerbefriedigung. Damit würden Sanierungs- und Abwicklungsprozesse erheblich erschwert.

Für die Praxis bringt das Urteil mehr Rechtssicherheit in Deckungsprozessen und ein klares Signal für eine interessengerechte Auslegung. Unternehmen sollten in Krisensituationen eine sorgfältige Dokumentation aller Entscheidungsprozesse sicherstellen und die Versicherungsbedingungen regelmäßig überprüfen. Versicherer können sich nicht mehr auf eine generelle Indizwirkung stützen, sondern müssen die Wissentlichkeit jeder einzelnen Pflichtverletzung konkret nachweisen.

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