Der Bundesgerichtshof hat heute, am 13. November 2025 eine für das deutsche Insolvenz- und Kapitalmarktrecht richtungsweisende Entscheidung getroffen.
Die Wirecard AG ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Über ihr Vermögen wurde im August 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folge meldeten neben den normalen Gläubigern auch etwa 50.000 Aktionäre der insolventen Gesellschaft kapitalmarktrechtliche Schadenersatzforderungen zur Insolvenztabelle an. Sie argumentierten, die Wirecard AG habe die Aktionäre über die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage getäuscht, indem sie bewusst wahrheitswidrig ein tatsächlich nicht vorhandenes Geschäftsmodell vorgegeben hatte. Diese Täuschung hätte Tausende gutgläubiger Anleger dazu veranlasst, in Wirecard-Aktien zu investieren.
Insgesamt beliefen sich die Aktionärsforderungen auf rund EUR 8,5 Mrd., während die weiteren Forderungen der „normalen“ Gläubiger bei ca. EUR 7 Mrd. lagen. Die derzeit verfügbare Masse beträgt ca. EUR 650 Mio. (vor Berücksichtigung diverser Klagen des Insolvenzverwalters gegen Dritte wie z.B. gegen die ehemaligen Wirtschaftsprüfer im Milliardenbereich).
Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass die kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen der Aktionäre nicht als einfache Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO zu qualifizieren sind und damit (wie sonstige Forderungen von Gesellschaftern auch) im Rang nach den Forderungen der „normalen“ Gläubiger stehen – was bedeutet, dass die Aktionäre leer ausgehen werden.
Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichts, dass der geltend gemachte Schaden untrennbar mit der Stellung als Aktionär bzw. Gesellschafter verbunden sei und damit dem typischen Beteiligungsrisiko des Eigenkapitals zuzurechnen bleibe. Auch wenn der Schaden auf fehlerhaften Kapitalmarktinformationen, deliktischem Verhalten oder unrichtiger Finanzberichterstattung beruht, handele es sich insolvenzrechtlich um nachrangige Forderungen, die erst nach vollständiger Befriedigung sämtlicher übriger Insolvenzgläubiger zu berücksichtigen sind. Nach Auffassung des BGH reicht allein die Täuschung der Aktionäre nicht aus, um einen Gleichrang mit einfachen Insolvenzgläubigern zu begründen. Maßgeblich sei allein, dass der Erwerb der Aktie den Kern des Rechtsgeschäfts bilde und die Aktionäre in der Folge die mit ihrer gesellschaftsrechtlichen Position verbundenen Risiken zu tragen hätten.
Die Entscheidung stärkt strukturell die Position der Fremdkapitalgeber im Insolvenzverfahren und ordnet die Verlustzurechnung im Kapitalmarkt klar dem Eigenkapitalbereich zu. Kurs- und Vertrauensschäden der Aktionäre werden insolvenzrechtlich weitgehend abgeschnitten, da aus Sicht des BGH das Insolvenzverfahren nicht als Instrument der nachträglichen Verlustabsicherung für Aktionäre dienen darf. Damit entfaltet die heutige Entscheidung über den Fall Wirecard hinaus grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft, da die Entscheidung künftig als Leitlinie für die insolvenzrechtliche Behandlung von Schadensersatzansprüchen aus fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen, Prospekthaftung oder Marktmanipulation herangezogen werden wird. Gleichzeitig wird sich in zukünftigen Kriminalinsolvenzverfahren der Fokus der Gesellschafter verstärkt auf die weiteren Marktteilnehmer und Organe richten, bei denen die Gläubiger meinen, Versäumnisse feststellen zu können.