Die BaFin hat am 21. Juni 2023 das Konsultationsverfahren zu ihrem am gleichen Tag veröffentlichten Entwurf „Fragen und Antworten zur Institutsvergütungsverordnung“ („FAQ IVV“) eröffnet. Wir fassen in diesem Client Alert die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Entwurf zusammen und werten diesen in die bisherige Rechtspraxis ein.
Die FAQ IVV inkludieren die erste offizielle Verlautbarung der BaFin zur Neufassung der Institutsvergütungsverordnung (IVV) vom 20.09.2021 (IVV 4.0) sowie zu den Leitlinien der EBA für solide Vergütungspolitik vom 02.07.2021 (EBA/GL/2021/04, „EBA-GSR 2.0“). Die am 16.02.2018 von der BaFin veröffentlichte Auslegungshilfe zur IVV („BaFin-Auslegungshilfe“) bezog sich noch auf die damals geltende IVV (IVV 3.0). Die Praxis hatte daher bereits erwartet, dass die BaFin (neue) Verlautbarungen treffen wird zum erstmals in der IVV 4.0 bestimmten Leitsatz der geschlechtsneutralen Vergütung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 IVV, s. dazu auch unseren Client Alert, zur Implementierung von ESG-Kriterien in die Vergütungssysteme, sowie zur Umsetzung der erweiterten Vorgaben des § 27 IVV 4.0 an die gruppenweiten Vergütungssysteme. Diese Erwartungshaltung hat der Entwurf der FAQ IVV (nur) zum Teil erfüllt.
Aus rechtsmethodischer Sicht inkludieren die FAQ IVV – wie auch bereits die BaFin-Auslegungshilfe und die EBA GSR 2.0 – kein Gesetz im materiellen Sinn. Sie sind vom Rechtsanwender als sog. Soft Law bei der Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben in die Vergütungssysteme zu beachten. Den Ausgangspunkt für die konkrete Rechtsanwendung bilden (unverändert) der Gesetzeswortlaut der InstitutsVergV (IVV) und die weiteren rechtsmethodischen Elemente zur Auslegung der IVV. Die Verlautbarungen der BaFin in den FAQ IVV sind als Bestandteil des historischen und des teleologischen Auslegungselements bei der Auslegung der IVV zu beachten.
Die FAQ IVV sollen die aktuelle Auslegungshilfe der BaFin zur InstitutsVergV vom 15.02.2018 („BaFin-Auslegungshilfe“) ersetzen. Zugleich stellt die BaFin klar, dass sie die bisherige Verwaltungspraxis gemäß der BaFin-Auslegungshilfe fortführen wird, soweit diese nicht durch die FAQ IVV eine Aktualisierung erfährt. Schließlich stellt die BaFin in den Vorbemerkungen der FAQ IVV klar, dass die EBA-GSR 2.0 generell unmittelbar Anwendung finden; mit Ausnahme der Verlautbarungen der EBA in den EBA-GSR 2.0, dass alle CRR-Institute unabhängig von ihrer Größe
Daraus ergibt sich folgender abgestufter Kanon für die Heranziehung der Verlautbarungen der EBA und der BaFin bei der Anwendung der konkreten gesetzlichen Regelungen („Abgestufter Anwendungskanon“):
Diese abgestufte fortgesetzte Berücksichtigung der Verwaltungspraxis der BaFin nach der BaFin-Auslegungshilfe neben den FAQ IVV erhöht die Komplexität für die Rechtspraxis; es bleibt insoweit abzuwarten, ob hierzu im Konsultationsverfahren Impulse für eine Vereinfachung der Anwendung gesetzt werden.
§ 5 Abs. 1 Nr. 6 IVV 4.0 ergänzt – in Umsetzung der Art. 74 Abs. 1, 92 Abs. 2 der Richtlinie 2019/878/EU (CRD V) – den Katalog des § 5 Abs. 1 IVV zur aufsichtsrechtlichen Angemessenheit der Vergütungssysteme um den Leitsatz der geschlechtsneutralen Vergütungspolitik. Die EBA bestimmte in den EBA-GSR 2.0 für die Implementierung dieses Leitsatzes in die Vergütungssysteme drei Umsetzungsdimensionen, demnach die Institute (1) aus inhaltlicher Sicht sicherzustellen haben, dass alle Aspekte der Vergütungspolitik geschlechtsneutral sind, einschließlich der Gewährungs- und Auszahlungsbedingungen für die Vergütung; (2) aus formaler Sicht nachzuweisen haben, dass die Vergütungspolitik geschlechtsneutral ist, und (3) in der Vergütungsgovernance geeignete Instrumente für eine effektive Überwachung der Einhaltung der geschlechtsneutralen Vergütungspolitik zu etablieren haben. Die Vorstellungen der EBA wurden unter anderem aus deutscher arbeitsrechtlicher Sicht insbesondere mit Blick auf die betriebsverfassungsrechtliche Dimension als (zu) sehr weitgehend beurteilt (s. dazu nur unseren Client Alert)
Vor diesem Hintergrund erwartete die Praxis von der BaFin in der neuerlichen Verlautbarung klarstellende Ausführungen zur Umsetzung des Leitsatzes der geschlechtsneutralen Vergütungspolitik. Diese Erwartungshaltung wurde nicht erfüllt – der Entwurf der FAQ IVV schweigt sich hierzu aus. Sollte das Konsultationsverfahren hierzu keine weitergehenden Erkenntnisse bringen, werden sich die Institute angesichts der vorgenannten Einbettung der FAQ IVV und der BaFin-Auslegungshilfe in die EBA-GSR 2.0 für die Umsetzung des Leitsatzes der geschlechtsneutralen Vergütungspolitik mit der dreidimensionalen Implementierung gemäß den Verlautbarungen der EBA in den EBA-GSR 2.0 zu arrangieren haben.
Einen pragmatischen Weg wählt die BaFin in den FAQ IVV für die Implementierung des Leitsatzes der EBA in den EBA-GSR 2.0, dass die Vergütungspolitik der Institute auch mit der ESG-Strategie des Instituts und mit den damit verbundenen risikobezogenen Umwelt-, Sozial- und Governancezielen vereinbar zu sein hat (Rdnr. 16 EBA-GSR 2.0). Die BaFin verortet die Implementierung der ESG-Ziele in der Vergütungsstrategie nach Maßgabe des § 4 IVV – und lässt für ihre Implementierung den konkreten Reifegrad der ESG-Strategie des Instituts genügen. Die Praxis hat daher (unverändert) konkrete ESG-Ziele in die Vergütungssysteme zu etablieren, sobald die konkrete ESG-Strategie hinreichend konkret in die Geschäfts- und Risikostrategie implementiert ist.
Der Abgestufte Anwendungskanon wird beispielhaft verdeutlicht in den Verlautbarungen der BaFin zu den Rahmenparametern für die Festsetzung des Gesamtbetrags der variablen Vergütung gemäß § 7 IVV.
Die BaFin-Auslegungshilfe enthielt hierzu noch sehr umfassende Ausführungen vor allem zu den maßgeblichen inhaltlichen und prozessbezogenen Rahmenparametern (Implementierung der ökonomischen Perspektive und der regulatorischen Perspektive; Bottom up-/Top down-/Kombinierte Systematik für die Ermittlung des Gesamtbonuspools). Die FAQ IVV beschränken sich demgegenüber auf einzelne inhaltliche und prozessuale Leitsätze, die zu einem großen Teil auch bereits in der BaFin-Auslegungshilfe enthalten waren (etwa zur Erwartung der BaFin (1) zur ganzheitlichen Beurteilung der Vereinbarkeit des beabsichtigten Gesamtbetrags der variablen Vergütung mit den aufsichtsrechtlichen Nebenbedingungen des § 7 Abs. 1 S. 3 IVV, (2) an die inhaltlichen Anforderungen und an eine frühzeitige Kommunikation/Abstimmung im Fall der beabsichtigten Festsetzung eines Gesamtbetrags der variablen Vergütung bei einem negativen Ertrag, sowie (3) zur erforderlichen Beurteilung der Einhaltung der Anforderungen des § 7 Abs. 1 S. 3 IVV sowohl für die Ermittlung, für die Erdienung und die Auszahlung des jeweiligen variablen Vergütungsbestandteils). Die Institute haben insoweit die in den Rdnrn. 238ff. EBA-GSR 2.0 bestimmten weitergehenden inhaltlichen Parameter unter anderem zur Systematik für die Ermittlung des Gesamtbonuspools und zur Transparenz der Systematik und des Prozesses zu beachten.
Hilfreich für die Praxis sind die von der BaFin erstmals in den FAQ IVV verlautbarten Leitsätze, dass Institute bei beabsichtigter Festsetzung eines Gesamtbonuspools (1) im Fall einer Unterschreitung der Eigenmittelempfehlung gemäß § 6d KWG durch die dokumentierte Kapitalplanung nachweisen können, wenn/dass sie die Eigenmittelempfehlung innerhalb der folgenden drei Kalenderjahre - auch bei Festsetzung des Bonuspools - wieder einhalten werden, und (2) für Tochterinstitute mit Freistellungen von den Kapital- bzw. Liquiditätswaivern nach Maßgabe der Art. 7 CRR, § 2a Abs. 4 KWG/Art. 8 CRR, § 2 Abs. 4 KWG erleichterte Anforderungen an die hinreichende Liquiditätsausstattung gelten.
Mit Blick auf das Konsultationsverfahren erwähnenswert sind die folgenden ausgewählten weiteren Verlautbarungen in den FAQ IVV:
Darüber hinaus stellt die BaFin zu § 5 Abs. 6 S. 5 klar, dass (1) u.a. sog. Sprinter-/Turboprämien (als Leistungen bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem nächstmöglichen ordentlichen Kündigungszeitpunkt, die der Höhe nach der Kapitalisierung der alternativ bis zum ordentlichen Kündigungszeitpunkt zu gewährenden Fixvergütung entsprechen), sowie (2) Abfindungen zum Ausgleich des Anspruchs auf eine etwa entgangene variable Vergütung für den laufenden Bemessungszeitraum jeweils als regelmäßig nach § 5 Abs. 6 Nr. S. 5 Nr. 3 IVV angemessene Abfindungen angesehen werden können. Zudem sollen Abfindungen, die mehr als einen Privilegierung-Sachverhalt im Sinne des § 5 Abs. 6 S. 5 IVV erfüllen, (nunmehr) regelmäßig einer besonderen Darlegung bedürfen.
Zu den besonderen Anforderungen der §§ 18ff. IVV an die variable Vergütung von Risikoträgern sind mit Blick auf das Konsultationsverfahren die folgenden ausgewählten weiteren Verlautbarungen in den FAQ IVV erwähnenswert:
Die BaFin konkretisiert in den FAQ IVV ihre Erwartungshaltung an den zeitlichen Umfang der Funktion des Vergütungsbeauftragten und seines Stellvertreters. Unverändert ist ihre Regel-Annahme, dass die Funktion des Vergütungsbeauftragten generell in Vollzeit ausgeübt werden soll, und Institute davon abweichend in Anwendung des aufsichtsrechtlichen Proportionalitätsgrundsatzes eine Teilzeit-Tätigkeit bestimmen können, wenn (1) die Größe, die interne Organisation und Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäfte des Instituts, (2) Anzahl der Gesamtbelegschaft, (3) Anzahl der Risikoträger neben den Geschäftsleitern mit einer variablen Vergütung von mehr als 50.000 EUR, und (4) quantitative Komplexität der Vergütungssysteme der Risikoträger neben den Geschäftsleitern keine Vollzeittätigkeit für erforderlich erachten lassen, wobei die Teilzeittätigkeit in diesem Fall einen Umfang von mindestens 0,5 FTE einnehmen soll. Dabei soll eine Reduzierung des Tätigkeitsumfangs auf eine Teilzeittätigkeit unverändert generell nicht in Betracht kommen, wenn mehr als 10 Risikoträger eine variable Vergütung in Höhe von mehr als 100% der fixen Vergütung erhalten. Ausnahmen von dieser Erwartungshaltung erscheinen – unter Berücksichtigung der konkreten (weiteren) Sach- und Personalressourcen – aufsichtsrechtlich plausibel, wenn diese unter Berücksichtigung der vorgenannten Beurteilungskriterien umfassend materiell belastbar begründet werden können. Betroffene Institute werden hierzu die Begründung des konkreten zeitlichen Umfangs des Vergütungsbeauftragten und des Stellvertreters in den Vergütungsrichtlinien (§§ 26, 11 Abs. 1 IVV) zu reviewen und bei Bedarf nachzujustieren haben.
Die BaFin stellt zudem klar, dass der § 12 IVV-Bericht in den Vergütungskontrollbericht des Vergütungsbeauftragten integriert werden kann, sofern dieser auch den Maßnahmenplan nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 IVV hinreichend dokumentiert. Enthält der Bericht auch die Prüfung der Angemessenheit der Vergütung der Geschäftsleitung, soll dieser Berichtsteil – unverändert – vom Aufsichtsorgan oder von einem externen Dritten erstellt werden. Die FAQ IVV enthalten außerdem – erstmals – eine Verlautbarung der BaFin zur Erwartungshaltung an die inhaltlichen Prüfungsgegenstände und ihre Darstellung im Vergütungskontrollbericht, wobei die Vergütungsbeauftragten in der Praxis die im Einzelnen ausgeführten Prüfungsgegenstände in der Regel bereits in ihr Pflichtenheft aufgenommen hatten.
Die FAQ IVV enthalten zu einer Vielzahl von Regelungsgegenständen der IVV (inklusive einzelner Neuregelungen der IVV 4.0) keine gesonderten Verlautbarungen mehr, u.a.
Zu diesen und zu den weiteren im Entwurf der FAQ IVV nicht behandelten Regelungsgegenständen der IVV wird gegebenenfalls das Konsultationsverfahren – weitere – Impulse setzen können.
Die Praxis hat die Möglichkeit, sich bis zum 04.08.2023 aktiv in das Konsultationsverfahren einzubringen und eine Stellungnahme an die auf der FAQ IVV-Webseite der BaFin angeführten Kontaktdaten zu senden.
Eine Finalisierung der FAQ IVV und ihre anschließende Veröffentlichung noch im Kalenderjahr 2023 erscheint vor diesem zeitlichen Hintergrund nicht ausgeschlossen.