Abwerbe- und Einstellungsverbote (“no-poach agreements”) sind vertragliche Vereinbarungen oder Absprachen, keine Führungskräfte und Mitarbeiter des Vertragspartners oder Wettbewerbers einzustellen oder zu versuchen, abzuwerben. In den USA und anderen Jurisdiktionen werden solche Vereinbarungen schon seit längerem als Kartellabsprachen gewertet und entsprechend verfolgt.
Nachdem sich die Europäische Kommission („Kommission“) im Mai 2024 in einem Competition policy brief zu diesem Thema geäußert hat, hat sie Anfang Juni die erste Geldbuße für ein no-poach-Kartell zwischen Delivery Hero und Glovo in Höhe von insgesamt EUR 329 Mio. verhängt (Pressemitteilung). Auch der EuGH hat sich jüngst im Kontext von sportkartellrechtlichen Fällen zur wettbewerbsbeschränkenden Wirkung von arbeitnehmerbezogenen Regelungen geäußert.
Vor diesem Hintergrund ist es (spätestens) jetzt auch für europäische Unternehmen an der Zeit, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Im Folgenden werden die wesentlichen Grundsätze, die bei no poach agreements zu beachten sind, erläutert.
Die Kommission stellt im Competition policy brief zunächst fest, dass Abwerbe- und Einstellungsverbote – in Form von „no-hire“- (d.h. aktive und passive Abwerbeaktivitäten) als auch „non-solicit“-Vereinbarungen (nur aktive Abwerbeaktivitäten) – einen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Dasselbe soll auch für wage-fixing agreements, also Vereinbarungen über die Höhe von Gehältern oder sonstigen Vergütungen, gelten.
In der weiteren Analyse werden no-poach agreements als eine Form von Resourcenaufteilung (supply-source sharing) und wage-fixing agreements als Preisabsprache von Bezugspreisen angesehen und damit klassischen Fallgruppen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen im Sinne des Artikel 101 Abs. 1 AEUV (Kartellverbot) zugeordnet. Die Kommission bewertet entsprechende Vereinbarungen zudem als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung mit der Folge, dass per se ein Verstoß gegen das Kartellverbot vorliegt, ohne dass es auf das Vorliegen einer wettbewerbsschädlichen Wirkung im Einzelfall ankommt.
Ein wichtiger Hinweis im Competition policy brief und für die Praxis von großer Bedeutung ist die Auffassung der Kommission, dass alle Unternehmen – unabhängig davon, aus welcher Branche sie kommen – als Wettbewerber auf dem Arbeitsmarkt angesehen werden. Wo für Preisabsprachen und Marktaufteilungen als (besonders schwerwiegende) Kernbeschränkungen grundsätzlich ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf dem betroffenen Produktmarkt bestehen muss, stehen sich auf dem Arbeitsmarkt dagegen sämtliche Unternehmen unabhängig von ihren Geschäftstätigkeiten als Wettbewerber gegenüber.
Wie andere an sich wettbewerbsbeschränkende Absprachen auch, können no poach und wage-fixing agreements grundsätzlich als notwendige Nebenabreden zu kartellrechtsneutralen Vereinbarungen (wie Lieferverträgen, R&D-Kooperationen, Unternehmenskaufverträgen) zulässig sein. Hier gelten jedoch hohe Anforderungen, für deren Vorliegen die Vertragspartner beweispflichtig sind. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass keine gleichgeeigneten, aber weniger restriktiven Maßnahmen zur Verfügung stehen, um das legitime Ziel zu erreichen, und der Umfang der Regelung auf das erforderliche Maß begrenzt ist.
Die Kommission geht jedenfalls davon aus, dass die Voraussetzungen sowohl no-poach als auch bei wage-fixing agreements regelmäßig nicht vorliegen dürften.
Eine Ausnahme bilden Abwerbeverbote in Form von non-solicitation (aktive Abwerbeaktivitäten) im Rahmen von Unternehmenskäufen. Entsprechende Regelungen sind erforderlich, damit der Wert des Zielunternehmens nicht durch die Abwerbung (wichtiger) Mitarbeiter durch den Verkäufer nachträglich geschmälert wird.
Delivery Hero und Glovo sind zwei der größten Essenslieferdienste in Europa. Im Zuge einer Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo im Jahr 2018 vereinbarten die Unternehmen zunächst eine gegenseitige Nichtübernahmeklausel für bestimmte Mitarbeiter. Kurz darauf wurde diese Vereinbarung zu einer allgemeinen Vereinbarung erweitert, sich nicht aktiv an die Mitarbeiter des jeweils anderen zu wenden.
Da die Minderheitsbeteiligung Delivery Hero keine Kontrolle über Glovo vermittelte, kam die Kommission zu dem Schluss, dass es sich bei den Vereinbarungen bis zur Übernahme der alleinigen Kontrolle im Jahr 2022 um kartellrechtswidrige no-pach agreements handelte. Auch weitere Verhaltensweisen wie den Austausch wettbewerblich sensibler Informationen und die Aufteilung von Kundenmärkten wertete die Kommission als Kartellverstöße und verhängte eine Gelbuße in Höhe von EUR 223 Mio. an Delivery Hero bzw. EUR 106 Mio. an Glovo.
Weitere Einzelheiten sind der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. Weitergehende Einblicke in die konkrete Fallgestaltung sowie in die rechtliche Bewertung der Kommission wird die Veröffentlichung der vollständigen Entscheidung bringen.
Schon jetzt lässt sich allerdings feststellen, dass die Kommission die Grundsätze aus dem Competition policy brief auch in der Praxis anwendet und empfindliche Geldbußen ausspricht.
In den Fällen “Royal Antwerp Football Club“ und „FIFA-Transferregeln“ (Diarra) hat der EuGH erstmals kartellrechtliche Bewertungen auf Arbeitgeberkollusionen außerhalb von Tarifverhandlungen angewendet, die er regelmäßig aufgrund der mit ihnen sozialpolitisch verfolgten Ziele für zulässig hält.
Gegenstand waren die Homegrown Player Rule und die Fifa-Transferregeln. Erstere ist eine Regel der UEFA, die Mindestquoten für lokal ausgebildete Spieler vorschreibt. Letztere beinhalten Regelungen der FIFA, die einen Vertragsbruch oder eine sonstige einseitige, nicht einvernehmliche
Vertragsauflösung durch den Spieler sanktionieren.
Nach Auffassung des EuGH stellen die Arbeitsmärkte eigenständige Märkte dar, auf denen Wettbewerbsbeschränkungen zur Senkung von Löhnen und Einschränkungen der Mobilität von Arbeitnehmern und damit zu einer Schädigung der Arbeitnehmerseite führen können.
Zur Homegrown Player Rule hat der EuGH festgestellt, dass diese sich wettbewerbsbeschränkend auf den Arbeitsmarkt der Profi-Fußballspieler auswirken könne. Ob dies tatsächlich der Fall sei, sei daran zu messen, ob die Regelung im Ergebnis zu einer Abschottung der nationalen Märkte führe. Hierfür käme es insbesondere auf den Anteil der betroffenen Spieler an.
Die Einschätzung des EuGH zu den FIFA-Transferregeln fällt dagegen deutlicher aus. Die Sanktionierung einseitiger Verpflichtungen von Spielern schränke den Wettbewerb um Spieler ein und wurden vom EuGH als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung in Form eines no poach agreement eingestuft.
In beiden Entscheidungen erörtert der EuGH auch die Möglichkeit einer Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV. Während in Bezug auf die FIFA-Transferregeln deutlich gemacht wird, dass eine Freistellung nicht in Betracht kommt, da die Regelungen nicht unerlässlich seien, um etwaige Effizienzvorteile der FIFA-Transferregeln zu erreichen, bleibt er bei der Homegrown Player Rule vage und überlässt dem vorlegenden Gericht die Prüfung.
Aus den beiden Urteilen lassen sich folgende wesentliche Feststellungen des EuGH ableiten:
Die vom EuGH aufgestellten Grundsätze finden sich auch im Competition policy brief der Kommission wieder und werden damit in der zukünftigen Entscheidungspraxis auch außerhalb von sportkartellrechtlichen Fällen der Maßstab sein, wie die jüngst erlassene Bußgeldentscheidung gegen Delivery Hero und Glovo zeigt.
Mit den beiden EuGH-Urteilen und der Kommissionsentscheidung in Sachen Delivery Hero / Glovo nimmt jetzt auch in Europa das Thema Arbeitskartellrecht Fahrt auf. Für die Zukunft ist mit weiteren Entscheidungen in diesem Bereich zu rechnen. Wie der Fall Delivery Hero / Glovo zeigt, werden no-poach agreements mit hohen Geldbußen geahndet.
Die Unternehmen müssen ihr Bewusstsein dafür schärfen, dass auch der Personalbereich ein kartellrechtssensibler Bereich ist und ihre Compliance entsprechend erweitern. Im Hinblick auf die angespannte Lage im Wettbewerb um Fachkräfte müssen Unternehmen insbesondere auch bei bilateralen Vereinbarungen diese Thematik im Blick haben.